Die dritte Ebene
Platz. Die Doreen war auf dem Heck der Solaris an einem Kranausleger festgemacht und jederzeit einsatzbereit.
Vor knapp zwei Stunden hatte der Tauchgang nahe der Sankt-Vincent-Inseln geendet, und der schlanke gelbfarbene Schiffskörper lag auf seiner Plattform, als wollte er neue Kraft für den nächsten Tag tanken. Ein zweiter Tauchgang war notwendig geworden, um die ermittelten Daten des Tages zu verifizieren. Zu absonderlich waren die ermittelten Werte. Sollten die Messdaten stimmen, so hatten sich vor allem die Strömungsverhältnisse in den oberen und mittleren Wasserschichten regelrecht umgekehrt, sodass die Strömung nicht mehr vom Atlantik in den Golf verlief, sondern in Richtung der südamerikanischen Nordküste.
Würde es auch bald einen El-Niño-Effekt im Atlantik geben? Schwächte sich der Nordäquatoriale Strom immer mehr ab?
Jedenfalls hatten die Untersuchung der karibischen Strömung in eintausend Meter Tiefe sowie die Temperaturdaten ratlose Gesichter unter den Wissenschaftlern im Kontrollraum der Solaris hinterlassen. Das Horrorszenario vom Ende der Welt, das sogar anerkannte Klimatologen für die nächsten fünfhundert Jahre in Aussicht stellten, schien sich rasend schnell zu verwirklichen. Wie viel Zeit blieb dieser Welt noch?
Der Kapitän der Solaris schaute mit seinem Fernglas durch die dicke Glasscheibe des Ruderhauses hinaus in die mondlose Nacht. Sie hielten Kurs Nord-Nordwest, die Maschinen liefen auf viertel Fahrt. Am morgigen Tag sollte die Doreen knapp fünfhundert Kilometer westlich von Jamaika in Höhe der Schwan-Inseln auf Tauchfahrt gehen, um einen beständigeren Teil der karibischen Strömung zu erforschen. Der Steuermann stand hinter dem Ruder und kaute auf dem Daumennagel. Auf dem Monitor, der vor ihm im Kontrollpult flimmerte, war die aktuelle Wetterkarte des befahrenen Gebietes abgebildet. Über dem morgigen Einsatzgebiet lag ein kräftiges Tiefdruckgebiet, das möglicherweise für eine schwere See sorgen würde.
»Hoffentlich sind diesmal alle seetauglich«, sagte der Kapitän lächelnd. »Sonst werden wir wieder das Deck schrubben müssen.«
Der Steuermann lachte. »Es sind Wissenschaftler, keine Seefahrer.«
Es war kurz vor Mitternacht, als der Himmel im Westen aufglühte.
»Was ist das?«, fragte der Steuermann verwundert.
Der Kapitän richtete sein Fernglas auf das strahlende Lichtband, das in allen Spektralfarben den westlichen Horizont erhellte. »Hm«, sagte er nach einer Weile. »Wenn ich unsere Position nicht kennen würde, dann würde ich sagen, vor uns liegt eine herrliche Aurora borealis.«
»Ein Polarlicht?«
»Genau, aber nicht hier im Karibischen Meer. Es müssen Lichtreflexe oder so etwas Ähnliches sein.«
Der Steuermann runzelte die Stirn. »Und woher sollten die Reflexe kommen?«
Der Kapitän zuckte mit den Schultern.
Im Unterdeck der Solaris befand sich ein geräumiger Kontrollraum, vollgestopft mit Elektronik und allerlei Computersystemen. Drei Wissenschaftler versahen dort hinter Monitoren ihren Dienst. Sie überwachten und sondierten die gelieferten Messdaten, die von den zahlreichen Messsonden, Fühlern, Antennen und Sensoren auf dem Schiff an den Zentralcomputer übermittelt wurden.
Einer der Mitarbeiter griff zu seiner dampfenden Kaffeetasse und hätte sich beinahe verschluckt, als er einen schnarrenden Warnton vernahm. Er stellte die Tasse zurück auf den Tisch und blickte auf den Monitor. Seine Finger flogen über die Tastatur. Sein ratloser Gesichtsausdruck erregte die Aufmerksamkeit der anderen.
»Was ist los?«, fragte sein bärtiger Kollege am Nachbarterminal.
»Ich kriege hier Messdaten von Polarlichtaktivitäten ganz in unserer Nähe herein«, antwortete er. »Das gemessene Level liegt bei vier. Aber die Satelliten sagen mir, dass wir keinerlei Sonnenwindaktivität haben.«
»Ich sehe es jetzt auch auf dem Schirm«, sagte sein Kollege. »Die Strahlungsintensität weicht deutlich von der Norm ab. Haben wir noch einen aktuellen Link auf ACE?«
»Gib mir mal eine Übersicht.«
Der Angesprochene tippte auf die Tastatur. »Wir sind online, ich habe die Anzeige auf fünfzehn Grad Ost, achtzig Grad nördliche Breite. Das ist ganz in unserer Nähe.«
»Wie nah?«
Der Bärtige drückte eine weitere Tastenkombination. »Hundert Kilometer westlich. Aber wie kann es sein, dass es mitten in der Nacht zu langwelligen Reflexionen kommt? Die Sonne ist längst auf der anderen Seite der Erde angekommen.«
»Keine Ahnung.«
»Und was
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