Die dritte Ebene
Erwachsener lernt man, damit umzugehen, aber als Kind ist man dem Spott schutzlos ausgeliefert. Erst nachdem mich meine Eltern auf eine Schule für Hochbegabte schickten und ich mit Gleichgesinnten zusammen war, wurde es besser. Doch das bedeutete nur wieder ein neues Internat, noch weiter entfernt von meinem Elternhaus. Du siehst also, eine normale Kindheit gab es für mich nicht. Ich kann dir von Forschungsprojekten berichten, von Arbeitsergebnissen und ersten Preisen, aber Streiche mit Geschwistern oder Freunden kann ich leider nicht zum Besten geben. Wenn ich heute zurückblicke, dann fühle ich mich ein wenig um meine Kindheit betrogen.«
Das Lächeln war aus Jennifers Gesicht gewichen. »Das tut mir leid«, sagte sie mit belegter Stimme.
»Muss es dir nicht, das ist alles Vergangenheit«, antwortete Wayne. »Dafür habe ich heute einen sehr gut bezahlten Job, und meine Arbeit macht mir Spaß.«
»Wenn ich recht überlege, kenne ich kaum jemand anderen, der so viele Titel und Diplome erworben hat wie du. Professor für Geodäsie, Doktor der Meteorologie und der Geophysik.«
»Und die Kartografie nicht zu vergessen«, warf Wayne schmunzelnd ein.
»Und trotzdem scheinst du ein normaler Mensch geblieben zu sein«, sagte Jennifer. »Früher stellte ich mir einen Professor als alten, grauhaarigen Herrn mit dicken Brillengläsern vor. Etwas weltfremd und bisweilen ein wenig verwirrt. Auf dich trifft dieses Klischee überhaupt nicht zu.«
»Oh, ich trage Kontaktlinsen«, scherzte Wayne.
Der Ober kam an den Tisch, und Wayne bestellte zwei Martini.
»Das mit den Hurrikans so früh im Jahr ist schon außergewöhnlich, oder?«, sagte Jennifer unvermittelt.
Wayne nickte. »Es ist eigentlich unerklärlich. Aber da in unserem Kosmos alles den Gesetzen der Natur folgt, bin ich sicher, dass die Jungs vom Hurricane Center eine Erklärung dafür finden werden.«
»Und was für eine Erklärung kann das sein?«
»Wir müssen uns langsam von dem Gedanken verabschieden, dass alles so bleibt, wie es ist. Die Welt ist im Fluss. Nichts ist statisch, auch das Klima nicht. Nehmen wir nur mal die durchschnittliche Temperatur von zirka zehn Grad Celsius. Erst seit knapp zehntausend Jahren ist sie stabil. Vorher gab es weit größere Schwankungen, und meistens war es deutlich kälter auf unserem Planeten.«
»Zehntausend Jahre ist eine lange Zeit«, warf Jennifer ein.
»Gemessen an dem Alter unseres Universums nicht viel mehr als eine Sekunde.«
»Das heißt, dass sich unser Klima auf alle Fälle ändern wird?«
»Nicht unbedingt«, erwiderte Wayne. »Niemand kann vorhersehen, wie es in zehntausend Jahren auf unserem Planeten aussehen wird. Doch zurzeit tun unsere Gesellschaft und die Industrie alles dafür, dass ein ohnehin instabiles Klima noch unbeständiger wird, indem wir Treibhausgase und Kohlendioxyd in großen Mengen in unsere Atmosphäre blasen. Irgendwann werden wir die Rechnung dafür bezahlen müssen.«
Jennifer richtete sich auf. »Also sind diese Hurrikans schon die ersten Vorboten der Veränderung?«
»Das habe ich damit nicht gesagt«, entgegnete Wayne. »In jedem Jahrhundert gibt es irgendwelche Phänomene, die ungewöhnlich sind. Denk nur an die sogenannten Jahrhundertsommer, die Dürreperioden oder die extremen Regenfluten, die wir bereits erlebt haben. Vielleicht sind die Stürme, die wir derzeit erleben, ein weiteres natürliches Phänomen. Um eine fundierte Aussage treffen zu können, braucht man nähere Untersuchungen.«
Der Ober kam an den Tisch und servierte zwei Martini Rosso auf Eis mit Zitrone. Wayne nahm einen Schluck.
»Vor fünfzig Jahren steckte die Forschung in Sachen Tornados und Hurrikans noch in den Kinderschuhen, erst in den letzten zwanzig Jahren haben wir deutliche Fortschritte gemacht …«
»Ich frage mich, warum wir trotz aller Technik noch immer hilflos diesen Wirbelstürmen ausgeliefert sind. Jedes Jahr verwüsten sie unsere Küsten, fordern Menschenleben und richten Milliardenschäden an«, fiel Jennifer ihm ins Wort.
»Oh, es gab durchaus eine Zeit, wo man glaubte, die Hurrikans bekämpfen zu können«, erklärte Wayne. »Man flog mit Flugzeugen in die Wolkendecke und warf Silberjodid ab, aber die Wirkung war eher entmutigend. Mittlerweile weiß man, dass die tropischen Stürme für das Leben auf der Erde unentbehrlich sind. Im Grunde genommen gehören sie zu unserer gigantischen globalen Klimaanlage. Ohne sie würde keine warme Luft zu den Polen transportiert werden. Wir
Weitere Kostenlose Bücher