Die dritte Ebene
der Polizisten die Hand auf die Schulter. Doch der Kommissar hob beschwichtigend die Hand.
»Es ist keine Ausrede!«, erwiderte Brian. »Sie haben doch mit meiner Redaktion gesprochen und mit Sicherheit auch unsere Personalien überprüft. Und wenn Sie inzwischen mit Pater Francesco geredet hätten, dann wüssten Sie, wovon ich rede.«
Der Kommissar lächelte. »Hier ist jemand, der Sie sprechen will.«
Die Tür wurde geöffnet, und Pater Francesco stand davor.
Brian schaute den Geistlichen mit großen Augen an. »Pater Francesco! Sie müssen dem Kommissar erklären, weswegen ich bei Ihnen war«, platzte er heraus.
Der Kommissar erhob sich und ging zur Tür. »Sie haben eine halbe Stunde, Padre«, sagte er im Vorübergehen.
Der Pater nickte. »Unter vier Augen, sagte ich.« Padre Francesco wies auf die beiden Polizisten.
Brian beobachtete die Szene gespannt. Kurz darauf hatten der Kommissar und die beiden Polizeibeamten den Raum verlassen.
Pater Francesco setzte sich auf den Stuhl und faltete die Hände vor seinem runden Bauch. »In einen schönen Schlamassel sind Sie da geraten«, sagte der Pater freundlich.
Brian lächelte. »Da sind wir aber nicht ganz allein dran schuld. Wenn Sie uns erlaubt hätten, Nachforschungen anzustellen, dann wäre diese Nacht-und-Nebel-Aktion gar nicht notwendig gewesen.«
»Ich erklärte Ihnen, dass es kirchliche Vorschriften gibt …«
Brian hob die Hände. »Lassen Sie mich kurz erzählen, was wir herausgefunden haben. Die Kirche muss renoviert werden, aber es ist kein Geld vorhanden, und Ihre kirchliche Finanzabteilung denkt gar nicht daran, der kleinen Gemeinde unter die Arme zu greifen. Die Enkel des Küsters – ihrem Großvater treu ergeben – plappern alles nach, was sich der Alte ausdenkt. Irgendwann beginnt jeder Nagel zu rosten. Und die Feuchtigkeit in dem alten Kirchenbau tut das Übrige. Das alles zusammen ergibt die tränenrührige Geschichte von San Zulian.«
Der Pater blickte zu Boden. Minutenlang verharrte er stumm in dieser Pose. »Ich habe Ihnen erklärt, dass unsere Kirche äußerst kritisch mit sogenannten Wundern umgeht. Es wurde eine Prüfungskommission einberufen, die den Fall überprüft.«
»Und ich habe Ihnen erklärt, was wir herausgefunden haben«, entgegnete Brian.
»Und das werden Sie schreiben?«
»Nur das, was wir herausgefunden haben. Mit den Kindern konnten wir ja bislang nicht reden.«
Pater Francesco seufzte. »Sie vergessen die Menschen. Die Kinder und Paolo, der Küster, der aus selbstlosen Gründen handelte. Wir würden sie alle damit offiziell der Lüge bezichtigen. Sie müssten mit diesem Makel weiterleben, und der Alte würde in seinem Viertel das Gesicht verlieren. Das ist nicht das, was Sie wollen, oder?«
»Hat sich die Kirche selbst nicht der Wahrheit verschrieben?«
Pater Francesco lächelte. »Wahrheit. Es gibt viele Wahrheiten. Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters. Wahrheit und Glaube sind die Grundfesten unseres Daseins. Aber niemand sollte unter diesen Mauern begraben werden. Sie sind nach Venedig gekommen, um eine Heiligenerscheinung zu untersuchen. Um anschließend einen Artikel für Ihr Magazin zu schreiben. Ein Magazin, das sich verkaufen soll. Und je mehr Exemplare verkauft werden, desto mehr Geld verdient Ihr Verlag. Das ist auch eine Wahrheit, oder? Ihnen ist es vollkommen gleichgültig, was die Menschen in einem solchen Zeichen sehen oder welche Hoffnungen sie damit verbinden. Sie denken an den Verkauf. Unsere Kirche hingegen untersucht alle Umstände, und irgendwann, wenn genug Zeit ins Land geflossen ist, wird eine kleine Erklärung in einem unserer Hefte stehen, in der die Erscheinung von San Zulian als außergewöhnliche Wahrnehmung, aber ausdrücklich nicht als Wunder deklariert wird. Niemand wird über die Menschen sprechen, niemand wird sie verurteilen oder bloßstellen. Ich finde, das ist eine Wahrheit, mit der man gut leben kann, Sie nicht?«
Brian sog tief die Luft ein. »Es ist Ihre Wahrheit, aber nicht die Wahrheit, die ein Journalist aufdecken möchte«, antwortete Brian.
Pater Francesco faltete die Hände. »Ich werde Ihnen jetzt etwas erzählen, das nicht in Ihre Zeitung gehört. Sie müssen mir Ihr Wort geben, dass Sie schweigen. Ihr Ehrenwort.«
Brian zögerte, ehe er nickte.
Pater Francesco blickte an die Zellendecke, so als ob er sich das Einverständnis des Herrn einholen wollte, bevor er Brian die Geschichte offenbarte. »Wissen Sie, ich kenne Paolo schon seit über dreißig
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