Die dritte Ebene
vorstellen, und da brauche ich die Zahlen schwarz auf weiß.«
Schneider seufzte. »Da draußen toben Stürme, und wir katalogisieren Temperaturen und Niederschlagsmengen. Findest du das nicht paradox?«
Chang verzog das Gesicht. »Nein, das finde ich nicht«, erwiderte er grimmig. »Wir sind nicht bei den Hurrikan-Jägern, wir haben andere Aufgaben, die ebenfalls erledigt werden müssen. Und die neue Rastereinteilung wird helfen, deine Angriffe, wie du sie nennst, frühzeitig zu erkennen und damit womöglich Menschenleben zu retten. Das ist alles andere als nebensächlich.«
Schneider sog tief die Luft ein. »Du hast ja recht. Aber seitdem Coldmann abgestürzt ist, leide ich unter Depressionen. Ich denke, dass niemand einen sinnlosen Tod sterben sollte.«
»Sein Tod war nicht sinnlos«, entgegnete Chang. »Er ist gestorben, während er seine Aufgabe erfüllte. Er war Pilot und kannte die Gefahren. Trotzdem ist er in den Hurrikan hineingeflogen. Er tat es, weil es seine Aufgabe war. Er hat nicht gezögert und über die Sinnlosigkeit seines Tuns spekuliert. Er hat es einfach nur getan, verstehst du?«
Schneider nickte. Er wusste, was Wayne Chang damit zum Ausdruck bringen wollte. »Also gut, genug davon«, sagte er schließlich. »Gib mir mal einen Teil der Datenblätter, damit wir vorankommen. Und wenn wir fertig sind, dann gehen wir zusammen zu Joe’s und gießen uns ein paar hinter die Binde.«
Chang hob abwehrend die Hände. »Tut mir leid, das geht nicht. Jennifer ruft mich später noch an.«
Schneider lächelte. »Verliebt?«
Chang griff geflissentlich nach einem Datenblatt, das in einem Korb vor ihm lag. Eine Antwort gab er nicht.
»Verstehe«, murmelte Schneider, bevor er Changs Büro verließ.
Baltimore, Maryland
Der Blick über den Lake Montebello Drive auf den See erinnerte Suzannah Shane an ihr Zuhause in Racine. Sie saß auf einem bequemen Liegestuhl und genoss den Sonnenuntergang. Auf dem Grill schmorten saftige Steaks, und der Geruch ließ ein heimeliges Gefühl in ihr aufkeimen. Beinahe so wie früher, als ihr Vater noch lebte. Der laue Frühsommerabend war wie gemacht für einen geselligen Abend. Peggy hatte ein paar Nachbarn und Freunde zum Barbecue eingeladen. Suzannah verfolgte mit den Augen den roten Ball am Himmel, der langsam der Erde zustrebte, und hing ihren Gedanken nach. Sie hatte Smalltalk mit den Gästen gemacht, doch nun suchte sie abseits des Rummels etwas Ruhe.
Als sie Schritte hinter sich hörte, horchte sie auf. Peggy stapfte über den Rasen. Ein mitleidiges Lächeln lag auf ihren Lippen.
»Es ist dir zu viel?« Peggy setzte sich neben Suzannah auf einen gepolsterten Stuhl.
Suzannah schüttelte den Kopf, doch es gelang ihr nicht, überzeugend zu wirken. Zu halbherzig war ihre Geste, wusste sie doch, dass sie Peggy nichts vormachen konnte.
»Gleich können wir essen: Die Steaks sind fast durch und die Maiskolben schön knusperig. Du hast es bald überstanden.«
Suzannah lehnte sich zurück und betrachtete versonnen, wie sich die rote Scheibe hinter den Horizont schob. »Denkst du manchmal auch über den Tod nach?«
Peggy riss die Augen auf. »Was ist los mit dir, was soll der Unfug?«, fragte sie besorgt.
»Keine Angst«, beeilte Suzannah sich zu sagen. »So schlimm sind meine Depressionen nicht. Die untergehende Sonne hat mich auf den Gedanken gebracht. Es sieht so aus, als ob die Sonne verglüht und in die Erde stürzt. Und am nächsten Tag steht sie wieder auf und zieht am Himmel ihre Bahn, als ob nichts gewesen wäre.«
»Sie stirbt nicht, sie geht unter«, berichtigte Peggy.
»Ja, ich weiß. Ich denke nur … glaubst du, dass sich für uns Menschen alles wiederholt? Dass wir, wenn wir sterben, einfach eine Stufe weiter wandern, um dort neu zu beginnen?«
Peggy atmete auf. »Ich weiß nicht. Vielleicht ist auch alles nur zu Ende.«
»Für immer?«
»Over and out«, erwiderte Peggy. »Ausgelöscht, beerdigt und verfault. Und irgendwann vergessen. Ich glaube, mehr ist da nicht.«
»Ich habe ein Buch gelesen. Von einer Autorin mit indianischem Namen. Ich komm nur gerade nicht drauf. Sie meint, der Geist ist viel zu stark, um einfach zu vergehen. Nur der Körper ist schwach. Sie nennt es Parallelexistenz. Es gibt Tausende von Welten, in denen sich unser Leben ständig wiederholt. Wie ein Perpetuum mobile. Man stirbt, und alles beginnt wieder von vorn.«
»Und du glaubst diesen Schwachsinn?«
Suzannah warf ihrer Schwester einen verträumten Blick zu. »Ich
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