Die dritte Ebene
Jahren«, begann er. »Seit ich hier in Venedig bin, kümmert er sich um die Kirche, so wie vor ihm sein Vater und sein Großvater, und wahrscheinlich auch sein Urgroßvater. Es war vor drei Jahren. Paolo sprach mich eines Tages nach der Messe an. Ich weiß den Tag noch genau, denn ich hatte ihn zuvor noch nie so aufgelöst gesehen. Er wirkte übernächtigt, nervös und fahrig. Er fragte mich, wie es denn sei, wenn einem ein Heiliger erscheine. Ich erklärte ihm den Standpunkt der Kirche gegenüber Illuminationen, doch er wollte meine persönliche Ansicht hören, das merkte ich bald.
Schließlich gestand er mir, dass er am Abend zuvor mit der Mutter Jesu gesprochen habe. Sie sei ihm bei Anbruch der Dunkelheit in der Kirche erschienen. Sie habe ihm von einer großen Katastrophe berichtet. Über die Menschen im Herzen Europas würde die Sintflut hereinbrechen, sie würden ihr Hab und Gut in den wütenden Fluten verlieren und manche sogar ihr Leben. Er schilderte mir seine Vision mit solch einer Lebendigkeit, dass ich einen Augenblick lang meine Skepsis verlor. Ich versuchte ihn zu beruhigen, doch die Erscheinung verfolgte ihn noch tage- und wochenlang in seinen Träumen. Seine Visionen verflogen erst, nachdem zwei Wochen darauf der Osten Deutschlands und Teile Polens von heftigen Regenfällen und Überschwemmungen heimgesucht wurden. Sie haben bestimmt davon gehört. Es gab mehrere Tote, und die Schäden erreichten Milliardenhöhe.
Nach dieser Flutkatastrophe fand Paolo seine Ruhe wieder, bis er vor drei Wochen erneut zu mir kam und mir erzählte, dass ihm abermals die Jungfrau Maria erschienen sei. Dieses Mal habe sie ihm von heftigen tropischen Stürmen erzählt, die den amerikanischen Kontinent heimsuchen würden. Ganze Städte würden in den Fluten versinken, und die Erde würde sich auftun und mit Feuer und heißem Staub ganze Landstriche verwüsten.«
Brian schüttelte den Kopf. »In jedem Jahr rasen Hurrikans von der Karibik auf Amerika zu. Tornados und Orkane gehören in den Staaten zum Sommer, so wie Hitze und heftige Gewitter in Ihrem Land.«
Der Pater hob beschwichtigend die Hände. »Paolo sprach von einem ungekannten katastrophalen Ausmaß. Diese Vision raubt ihm seither den Schlaf. Sie haben ihn gesehen. Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Er glaubt fest daran, dass er die Menschen vor dem Teufel warnen, ihnen die Augen öffnen muss. Dass dies der Wille Gottes ist. Ich habe Paolo auf die Konsequenzen einer solchen Offenbarung hingewiesen. Ich sagte, niemand würde ihm Glauben schenken, jeder würde ihn für verrückt halten und über ihn lachen. Am Ende würde er sogar sein Amt als Küster verlieren. Ich redete auf ihn ein, beschwor ihn, bat ihn, meinetwegen zu schweigen, doch er tat es nicht. Ich kann nicht sagen, was ihn dazu bewogen hat, die Kinder in diese Sache hineinzuziehen. Wahrscheinlich war es mein Fehler, denn ich hatte ihm erzählt, dass in der Vergangenheit vor allem Kinder als Medium von Heiligen ausgesucht wurden. Vielleicht weil Kinder noch unschuldig sind und Jesus eine besondere Beziehung zu ihnen hat.«
»Er hat die Kinder vorgeschoben, um sein Amt zu behalten und den möglichen Konsequenzen aus dem Wege zu gehen«, resümierte Brian. »Seine eigenen Enkelkinder: Wie kann er sie nur in eine solche Situation bringen?«
»Die Sorge um San Zulian, die Kirche, hat ihn dazu gebracht. Sie ist alles, was er hat. Er sah wohl keinen anderen Ausweg, seiner Bestimmung zu folgen und gleichzeitig meinen Willen zu respektieren.«
»Es ist eine Lüge«, widersprach Brian.
»Eine Halbwahrheit, würde ich sagen.«
Brian lächelte. »Wieder eine Ihrer kirchlichen Thesen?«
Der Pater erhob sich. »Ich bitte Sie im Namen der Kinder und im Namen Paolos, verurteilen Sie diese Menschen nicht, die zu retten versuchen, was zu ihrem Lebensinhalt wurde. Ich bitte Sie, auf diesen Artikel zu verzichten.«
Brian schaute aus dem Fenster, als der Geistliche an ihm vorüberging und an die Tür klopfte.
»Ich bitte Sie, im Namen Jesu Christi«, sagte Pater Francesco, bevor er den Raum verließ und sich die beiden Polizisten wieder hinter Brian aufbauten.
14
Kennedy Space Center, Florida
Dicke Regentropfen prasselten gegen die Fensterscheibe im dritten Stock des Bürokomplexes, in dem die administrative Leitung des Space Center untergebracht war. Professor James Paul hatte den ganzen Tag über vor Journalisten und Vertretern der Wirtschaft und der Politik über das weitere Vorgehen beim ISS-Projekt
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