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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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sehr genau. Es ist leicht für dich, auf dem Friedhof vor dem schnell zu beeindruckenden Gratien zu erscheinen, der jeden Freitag um Mitternacht auf diesem Weg wartet. Es ist leicht, zu wissen, daß Gratien seiner Mutter davon erzählen würde und seine Mutter wiederum Oswald. Leicht, Hermance zu manipulieren. Du hast mich dahin geführt, wohin du wolltest, hast mich wie einen Automaten gesteuert, immer den Leichen nach, die du zurückließest und die ich anschließend entdeckte und deiner kompetenten Autopsie übergab. Aber du konntest nicht ahnen, daß der neue Pfarrer das De reliquis erwähnen, und auch nicht, daß Danglard sich dafür interessieren würde. Und selbst wenn, was machte das schon? Dein Drama, Ariane, war, daß Veyrenc sich den Text einprägte. Ein aberwitziger, genialer Kopf, unvorstellbar, aber wahr. Und daß Pascaline ihren verstümmelten Kater zur Kirche brachte, um ihn segnen zu lassen. Aberwitzige Idee, unvorstellbar, aber wahr. Und daß Retancourt das Novaxon überlebte. Aberwitzige Widerstandsleistung, unvorstellbar. Und daß der Tod der Hirsche Menschen verwirrte. Und daß Robert in seinem aberwitzigen Kummer mich zum Kadaver des Großen Roten schleppte. Und daß das Herz des Tieres sich in mein Gedächtnis grub und ich sein Geweih mit mir herumtrug. Über den Aberwitz aller dieser Menschen, ihre individuellen, unberechenbaren Eigenheiten hast du dir nie Gedanken gemacht, die hättest du nie vermutet. Du hast andere nur geliebt, wenn sie tot waren. Andere? Was ist das, die anderen? Belanglosigkeiten, Myriaden unbedeutender Wesen, eine quantité négligeable. Und aus diesem Grund, weil du sie für unerheblich hieltest, Ariane, haben sie dich zu Fall gebracht.«
    Adamsberg breitete die Arme aus und schloß die Augen, er war sich im klaren darüber, daß Arianes Ungläubigkeit und ihre Stummheit eine unüberwindliche Mauer bildeten. Ihre beiden Redestränge liefen wie zwei Züge nebeneinanderher, ohne daß sie sich je begegnen würden.
    »Erzähl mir von deinem Mann«, sagte er und stützte seine Ellbogen auf den Tisch. »Erzähl mir, wie’s ihm geht.«
    »Charles?« fragte Ariane und hob die Augenbrauen. »Den hab ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Und je seltener ich ihn sehe, desto besser geht es mir.«
    »Bist du da sicher?«
    »Absolut sicher. Charles ist ein Versager, der nur daran denkt, seine Sanitäterinnen zu ficken. Das weißt du.«
    »Aber nachdem er dich verlassen hat, hast du nie wieder geheiratet. Hattest du keinen Freund?«
    »Das geht dich einen Dreck an.«
    Der einzige Riß in Arianes Haltung. Ihre Stimme wurde tiefer, ihr Vokabular gewöhnlicher. Omega zeigte sich über der Mauer.
    »Es heißt, Charles liebt dich immer noch.«
    »Soso. Das würde mich bei dieser Flasche auch nicht wundern.«
    »Offenbar begreift er langsam, daß Sanitäterinnen nicht mit dir mithalten können.«
    »Natürlich nicht. Du wirst mich ja wohl kaum mit diesen Säuen vergleichen wollen, Jean-Baptiste.«
    Estalère beugte sich zu Danglard hinüber.
    »Steckt auch ein Knochen im Rüssel der Sau?« fragte er flüsternd.
    »Ich nehme es an«, antwortete Danglard und gab ihm ein Zeichen, daß man sich später damit befassen würde.
    »Es scheint, Charles wird wieder zu dir zurückkommen«, fuhr Adamsberg fort. »Jedenfalls erzählt man sich das in Lille.«
    »Soso.«
    »Fürchtest du nicht, daß du zu alt bist, wenn er zurückkommt?«
    Ariane lächelte flüchtig, beinahe mondän.
    »Das Altern, Jean-Baptiste, ist ein perverser Plan, der Gottes verderbter Phantasie entsprungen ist. Für wie alt hältst du mich? Sechzig?«
    »Nein, absolut nicht«, entfuhr es Estalère.
    »Sei still«, sagte Danglard.
    »Siehst du, selbst der junge Mann weiß es.«
    »Was?«
    Ariane nahm noch eine Zigarette und stellte durch diesen Schleier aus Rauch die Trennwand wieder her, die sie vor Omega schützte.
    »Kurz bevor ich in mein Haus einzog, bist du hingegangen, um dir alles anzusehen und die Tür des Dachbodens zu entriegeln. In jener Nacht hast du den weisen Lucio Velasco ganz schön erschreckt. Was hattest du dir vors Gesicht getan? Eine Maske? Einen Strumpf?«
    »Wer ist Lucio Velasco?«
    »Mein spanischer Nachbar. Als die Tür des Dachbodens dann geöffnet war, gingst du ganz nach Belieben ein und aus. Du warst einige Male dort, immer nachts, und bist da oben langsam hin und her gelaufen und danach gleich wieder gegangen.«
    Ariane ließ ihre Asche zu Boden fallen.
    »Du hast Schritte da oben

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