Die dritte Jungfrau
von deinen Blödmännern vor die Tür stellen.«
Zehn Blödmänner. Langsam kam Omega an die Oberfläche. Adamsberg beobachtete Arianes Profil, ihre Augenbraue, die Lippen, das Kinn, und versuchte dem Beben ihrer neuen Gedanken auf die Spur zu kommen.
Im Gefängnis gäbe es keine Mandelmilch, nur Hundeplörre. Im Gefängnis gäbe es keine Melangen mehr, weder die Violine noch die Grenaille, weder Minze noch Marsala. Und vor allem nicht die heilige Mischung. Nun war aber diese Mischung fast fertig, es fehlten nur noch das Lebendige der dritten Jungfrau und der Wein des Jahres. Was den Wein anging, so würde man sich zu helfen wissen. Schließlich war er nur das Bindemittel, und Wasser würde es unter Umständen auch tun. Natürlich fehlte das dritte Lebendige, von Ewigkeit konnte keine Rede mehr sein. Dennoch war die Mixtur fast fertig und konnte das Leben immerhin etwas verlängern. Um wieviel? Ein Jahrhundert? Zwei? Zehn? Damit konnte man getrost im Gefängnis durchhalten und später noch mal von vorn anfangen. Allein, die Mischung fehlte. Und diese Angst, sie vielleicht niemals trinken zu können, ließ sie ihre Zigarette zwischen den Zähnen zerbeißen. Zwischen ihr und ihrem so schwer errungenen Schatz stand ein Haufen Bullen.
Überdies stellte dieser Schatz den einzigen Beweis für die Morde dar. Gestehen würde Ariane nichts. Erst die Mischung, und allein die Mischung, mit den Haaren von Pascaline und Élisabeth, den Überresten von Katerknochen, Mensch und Hirsch, würde zeigen, daß Ariane den düsteren Weg des De reliquis gegangen war. Sie zu beschaffen war für sie ebenso entscheidend wie für den Kommissar. Ohne die Medikation hatte er kaum eine Möglichkeit, die Anklage aufrechtzuerhalten. Nichts wie Wolken, übereinandergetürmt von einem Schaufler, der sich in seinen Träumen verloren hatte, würde der Richter, von Brézillon bestärkt, sagen. Dr. Lagarde war so berühmt, daß die Fäden, die Adamsberg zusammengetragen hatte, nicht ins Gewicht fallen würden.
»Die Mischung befindet sich also bei dir zu Hause«, sagte Adamsberg, ohne das angespannte Gesicht der Medizinerin aus den Augen zu lassen. »In einem Versteck, an das Alpha bei seinen täglichen Verrichtungen mit Sicherheit nicht herankommt. Du willst sie, ich will sie. Aber am Ende werde ich sie bekommen. Ich werde mir Zeit lassen, und wenn ich das gesamte Haus auf den Kopf stellen müßte, ich werde sie finden.«
»Wie du meinst«, sagte Ariane und blies, wieder gleichgültig und entspannt, den Rauch aus. »Darf ich dann mal zur Toilette gehen.«
»Veyrenc, Mordent, begleiten Sie sie. Halten Sie sie gut fest.«
Sehr langsam, wegen ihrer hohen Schuhe, und eingezwängt zwischen ihren beiden Leibwächtern, verließ Ariane das Büro. Adamsberg sah ihr hinterher, ihr rascher Sinneswandel verwirrte ihn, das sichtliche Vergnügen, mit dem sie an ihrer Zigarette zog. Du lächelst, Ariane. Ich nehme dir deinen Schatz weg, und du lächelst.
Ich kenne dieses Lächeln. Es ist dasselbe wie damals in jenem Café in Le Havre, nachdem du mein Bier auf den Boden geschmissen hattest. Dasselbe, als du mich überredetest, die Krankenschwester zu verfolgen. Das Lächeln des Siegers, der dem zukünftigen Verlierer gegenübersteht. Das Lächeln deiner Triumphe. Ich werde dir deine verdammte Mischung wegnehmen, und trotzdem lächelst du.
Mit einem Satz sprang Adamsberg hoch und zog Danglard am Arm mit sich.
64
Ohne zu begreifen, was vor sich ging, die Beine schwer vor Müdigkeit, rannte Danglard dem Kommissar hinterher bis zur Toilettentür, die von Veyrenc und Mordent bewacht wurde.
»Vorwärts, Commandant«, befahl Adamsberg. »Die Tür, schnell!«
»Aber wir können doch nicht einfach …«, meinte Mordent.
»Brechen Sie die Tür auf, verflucht! Veyrenc!«
Dreimal warfen Veyrenc und der Kommissar sich mit der Schulter dagegen, dann gab die Toilettentür nach. Großangriff der Steinböcke, hatte Adamsberg gerade noch Zeit zu denken, bevor er Arianes Arm ergriff und ihr ein großes braunes Flakon aus der Hand riß. Die Gerichtsmedizinerin schrie. Und dieser langgezogene Schrei, wild und gellend, ließ Adamsberg begreifen, was Omega wirklich war. Er sollte es in dieser Schärfe nicht noch einmal erleben. Ariane verlor das Bewußtsein, und als sie fünf Minuten später in der Zelle wieder aufwachte, hatte Alpha, friedlich und affektiert, bereits wieder die Oberhand gewonnen.
»Die Mixtur war in ihrer Handtasche«, sagte Adamsberg’ und starrte auf das
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