Die dritte Sünde (German Edition)
Kleidungsstücke ihrer Mutter umnähen und kürzen. Sie hatte es sich vorgenommen, aber dann war das Angebot, die Stelle als Landarbeiter auf dem Gut Whitefell anzutreten, an den Vater herangetragen worden. Dieser hatte ohne zu überlegen zugegriffen. Versprach die Stelle doch ein, wenn auch bescheidenes, so aber doch regelmäßiges Einkommen. Auch eine bessere Wohnung als die winzige Kate, in der sie als Pächter eines zu kleinen Stückchen Ackers in der Grafschaft Wiltshire im Hinterland von Marlborough bisher gewohnt hatten. Es war ein wahrer Segen. Und so hatten der Umzug und alle Arbeit, die damit einherging, bisher verhindert, dass sie sich um neue Kleider hätte kümmern können. Das musste noch warten. Mit ihrer geringen Habe hatten sie sich auf den Weg nach Whitefell gemacht und nun lebten sie hier in der Nähe dieses märchenhaften Hauses und der nicht minder märchenhaften Wesen, die darin ein- und ausgingen.
Die Haushälterin Mrs Branagh, welche die Nebenpforte, die zu den Parkanlagen führte, auf Isobels energisches Läuten hin öffnete, schaute allerdings alles andere als märchenhaft drein, als sie das völlig verdreckte Kind im Schlepptau ihrer jungen Herrin erblickte. Was hatte sich Miss Isobel nun wieder in den Kopf gesetzt? Sie konnte doch unmöglich dieses schmutzige, überaus gewöhnliche Landarbeiterkind mit ins Haus nehmen wollen! Doch der vielsagende Seufzer der Haushälterin blieb natürlich unbeachtet. Isobel de Burgh duldete keinen Widerspruch. »Das ist Cathy. Sie darf mich heute besuchen«, sagte die Zwölfjährige in selbstbewusstem Tonfall. Er war Mrs Branagh nur zu vertraut. Hier konnte nichts verboten, allenfalls verhandelt werden. »Miss Isobel, soll sich Cathy nicht erst säubern, bevor sie das Haus betritt? Mr de Burgh könnte ärgerlich werden und ich will gar nicht wissen, was Miss Hunter dazu sagen wird.«
»Ach, Miss Hunter, diese Meckerziege«, gab Isobel ungnädig zurück. »Sie wird ohnehin etwas zu nörgeln finden, wie immer!«
»Oft hat sie doch auch recht«, meinte Mrs Branagh, auf Einsicht hoffend.
»Hat sie nicht!« Isobels blaue Augen blitzten gefährlich.
Mrs Branagh ruderte augenblicklich zurück. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Miss Isobel. Ich werde Cathy in die Waschküche führen und dort kann sie sich säubern. Es ist noch Seifenlauge vom Waschtag übrig. Vielleicht hat sie Glück und das Wasser ist sogar noch warm. Sobald sie fertig ist, kann sie zu Ihnen heraufkommen.«
»Nun gut!« Isobel nahm das Angebot der Haushälterin hoheitsvoll entgegen. Dann strahlten ihre Augen unternehmungslustig. »Ich werde in der Zwischenzeit mit Ruby meinen Kleiderschrank durchforsten. Sicher finde ich ein Kleid, das mir längst zu klein ist. Das dürfte Cathy passen! Und dann können wir schön spielen«, fügte sie an die in ängstlicher Ehrfurcht erstarrte Cathy gewandt hinzu. »Also beeil dich!«
Isobel, die Tochter des Hausherrn, lief davon, um ihren verwegenen Plan in die Tat umzusetzen. Natürlich war ihr klar, dass ihre ältliche Gouvernante, Miss Hunter, einen furchtbaren Aufstand machen würde, wenn sie erfuhr, dass Isobel es gewagt hatte, ein Feldarbeiterkind mit ins Haus zu bringen. Das war außerhalb jeder Vorstellung der auf Anstand und Sitte bedachten Miss Hunter. Und es war genau das, was Isobel daran reizte, das Mädchen mit in ihr Reich zu nehmen. Es bereitete ihr eine diebische Freude, Miss Hunter zur Weißglut zu treiben. Diese wurde schon lange nicht mehr mit ihr fertig. Isobel tat, was sie wollte. Eine Miss Hunter hatte ihr nichts zu sagen und noch weniger zu befehlen. Und wenn sich die Gouvernante auch mindestens jeden dritten Tag bei Isobels Vater über deren Ungezogenheit beschwerte, so wusste Isobel doch, dass ihr seitens ihres Vaters keinerlei Gefahr drohte. Sie war sich sicher, dass er sie auf jeden Fall in Schutz nehmen und verteidigen würde, auch, wenn die Anwürfe Miss Hunters zugegebenermaßen noch so berechtigt waren. Das kleine, schmutzige Arbeiterkind im Haus und gar in den Privaträumen der Herrschaftsfamilie würde einen neuen Nagel am Sarg der Gouvernante bedeuten, an dem Isobel nun schon seit Jahren unermüdlich schuftete. Sie stürzte in ihr Zimmer, wo das Dienstmädchen Ruby – wie jeden Abend – damit beschäftigt war, die achtlos herumliegenden Kleidungsstücke, Spielsachen und Bücher aufzusammeln, die Isobel mit genau der gleichen Regelmäßigkeit am nächsten Tag wieder auf dem Fußboden zu verteilen gedachte.
»Ruby,
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