Die dritte Sünde (German Edition)
Blick auf das schöne Mädchen zu werfen, das fast täglich um die gleiche Zeit in den Parkanlagen auftauchte? Ihr Vater hatte ihr ärgerlich nachgerufen, als sie sich von der Feldarbeit davonstahl. Es hatte am Morgen heftig geregnet und so war der Acker mit den Feldfrüchten, die für das Herrenhaus mit seinen vielen Bediensteten angebaut wurden und dessen Bestellung dem Vater oblag, schlammig und glitschig gewesen. Mehrmals war sie ausgerutscht und hingefallen. Nicht zuletzt deshalb, weil der vierjährige Billie immer wieder fortlief, um irgendeiner kindischen Grille, die ihm in den Kopf kam, zu folgen und sie gezwungen war, ihm nachzulaufen. Schließlich hatte sie sein Bein mit einem Strick am nächstbesten Baum festgebunden. Der Kleine hatte geschrien und geweint und ohne Erfolg versucht, den festen Knoten zu lösen, aber sie hatte sich nicht erweichen lassen. Die Arbeit musste getan werden und Billie war einfach noch zu klein und unvorsichtig, um allein herumstreifen zu können. Doch dann war sie die Plackerei und Billies fortwährendes Greinen endlich leid gewesen. Sollte sich doch Mary, ihre neunjährige Schwester, einmal um den Bruder kümmern. Alles hing immer an ihr! Seit dem Tod ihrer Mutter hatte sie die Pflichten der Hausfrau vollständig übernehmen müssen. Es war anfangs sehr hart für sie gewesen. Der Vater war ein wortkarger Mann, seit Mutters Tod geradezu verschlossen, dem kaum einmal ein Lob über die Lippen ging, geschweige denn ein Rat oder tröstende Worte. Wie selbstverständlich erwartete er von ihr, dass sie der Aufgabe der Versorgung des Hausstandes in vollem Umfang gerecht werden konnte – und das, seit sie acht Jahre alt war. Aber was sollte sie darüber groß klagen? Das war eben ihr Schicksal. Außerdem sorgte der Vater selbst so gut er konnte für seine Kinder, schlug sie selten und betrank sich nicht, wie so viele andere Landarbeiter, die sie kannte. Sie gab sich im Gegenzug alle Mühe ihren Aufgaben nachzukommen, obwohl sie früher mit vielem überfordert gewesen war. Waschen, putzen, kochen, die Versorgung des Viehs und die Sorge für die kleinen Geschwister waren eine harte Arbeit für ein knochiges, kleines Mädchen. Vielleicht war sie auch deshalb so dürr und klein geblieben, überlegte sie, scheu die aufrechte, gertenschlanke Gestalt von Isobel de Burgh betrachtend. Wie sollte man aber wachsen, wenn einen ständig schwere Wäschekörbe und andere Lasten niederdrückten?
War es denn so falsch, wenn sie sich einmal ein kleines Vergnügen gönnte? Und ein unsägliches Vergnügen war es für sie, das schöne, blonde Mädchen in seinen weißen Kleidern zu beobachten, wenn es im Park draußen spielte. Isobel de Burgh sah in der Tat aus wie eine Märchenprinzessin. Ihr Haar war sorgsam zu zierlichen Locken gelegt und mit Bändern und Kämmen kunstvoll hochgesteckt worden. Die blonde Pracht umrahmte ein fein geschnittenes Gesicht mit einer etwas vorwitzigen kleinen Nase und einem Mund mit vollen Lippen. Ihre Haut war golden und ebenmäßig, ganz anders als die eher blasse und entsetzlich sommersprossige Haut von Cathy, deren Gesicht, Beine und Hände von der Arbeit und Billies Wutausbrüchen, die ihn in letzter Zeit immer wieder plagten, zerkratzt und rau waren. Wo Isobels Augen von einem hellen, durchscheinenden Blau waren, schienen die von Cathy, obwohl ebenfalls blau, eher dunkel, fast violett. Auch Cathys Haar konnte keinen Vergleich mit den engelhaften Locken Isobels aushalten, stellte Cathy betrübt fest. Es hatte eine eher unspektakulär haselnussbraune Farbe mit einem Stich ins Rötliche, der sich mit den Jahren immer mehr verstärkte, und fiel in formlosen Naturwellen über ihren Rücken. Ein schwaches Erbe ihrer Mutter, die flammend rotes, wild gelocktes Haar gehabt hatte. Am schlimmsten fand Cathy jedoch ihr spitzes Gesicht mit den hohen Wangenknochen, das durch Überarbeitung und die eher karge Ernährung ausgemergelt wirkte. Kein Wunder, dass Isobel gesagt hatte, sie sähe schrecklich aus! Es musste wirklich stimmen. Das Ganze wurde betrüblicherweise auch nicht verbessert durch ihr grobes, abgetragenes Kleid aus Wollstoff, der sie ständig kratzte und ihre Haut reizte, aber sie hatte für diese Jahreszeit nichts anderes. Außerdem war sie im letzten Winter noch ein Stück gewachsen. Der Vater hatte ihr mit Ärger in der Stimme beschieden, er habe jetzt kein Geld, um neue Kleidung zu kaufen. Wenn sie etwas brauche, müsse sie sich eines der noch vorhandenen
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