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Die Drohung

Die Drohung

Titel: Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Sie können aufs Schiff.«
    Der Stempel knallte in den Paß, ohne daß man ihn genau betrachtete. Wer in Europa Kirchen baut, ist ein Ehrenmann. Etwas gebeugt, ein würdiger, erfolgreicher alter Herr, betrat Cortone die ›France‹. Zehn Minuten später folgte Lucretia Borghi, wieder zehn Minuten danach Ted Dulcan mit Bertie Housman.
    »Das geht so einfach wie Milchtrinken!« lachte Dulcan, als sich alle auf dem Promenadendeck trafen. »Was hilft die beste Kontrolle und der größte Polizeiaufwand, wenn ein falscher Bart genügt?«
    »Kein Grund zum Jubeln.« Cortone blickte auf seine Uhr. Die Lastkräne schwenkten Autos in die Laderäume, aus den Gepäckkammern trugen die Stewards Koffer und Reisetaschen zu den Kabinen. Der Strom der Europahungrigen hielt an. Die ›France‹ war ausgebucht. »Noch sind wir nicht in München.«
    »Es kann nichts mehr schiefgehen, Steve …« Dulcan benutzte schon den neuen Namen, man konnte sich nicht schnell genug daran gewöhnen. »Die Schallmauer ist durchbrochen. In Frankreich und in Deutschland hat man keine Ahnung, wie ein anständiger amerikanischer Paß aussehen muß.«
    »Das ist es nicht.« Cortone faltete die Hände über dem Bauch. Gegen die Sonne hatte er eine Mütze mit einem langen grünen Schirm auf. Er sah wie ein Filmregisseur aus Hollywood aus, der erschüttert über das Untalent seines Stars sich in seinen Liegestuhl verkrochen hat. »Ich habe Ahnungen.«
    »O Gott, bloß das nicht! Das kenne ich!« Dulcan fuhr sich nervös durch die gefärbten Haare. »Deine letzten Ahnungen kosteten uns 2 Millionen Dollar. Das war vor fünfzehn Jahren. Wieso hast du Ahnungen?«
    »Man soll die Menschen nicht für zu blöd halten.«
    »Wen zum Beispiel?«
    »Die Deutschen zum Beispiel. Sie haben Bossolo erwischt. Der CIA ist alarmiert. Und dieser Dr. Hassler knallt durch die Gegend. Das alles gefällt mir nicht. Man hätte es ruhiger machen können.«
    »Dann hätte es keiner geglaubt.«
    »Die Welt hat keine Phantasie mehr.« Cortone zog den Mützenschirm tiefer ins Gesicht. Vor ihm lag New York, und plötzlich hatte er Heimweh nach dieser Steinwüste. »Ein kleines Päckchen mit 50 Gramm Plutonium würde vermutlich die gleiche Wirkung gehabt haben.«
    »Und warum hast du es nicht mit 50 Gramm gemacht?«
    »Warum?! Die besten Gedanken kommen einem immer dann, wenn es zu spät ist. Ich glaube, wir erscheinen in München im richtigen Augenblick.«
    Am Nachmittag, unter einer goldenen Sonne, die über den Wolkenkratzern lag wie ein Heiligenschein, verließ die ›France‹ New York. Cortone stand an der Reling, blickte zurück, vorbei an der erhaben häßlichen Freiheitsstatue, und wiegte sich in ehrlicher Traurigkeit. Und plötzlich, als zerrisse etwas in ihm, eine Art Vorhang vor der Wahrheit, die nun unverhüllt war, wußte er, daß er diese herrliche, verhaßte, heimatliche und doch immer wieder abstoßende Stadt entweder mit 30 Millionen Dollar mehr in der Tasche oder nie mehr wiedersehen würde. Eine Alternative, die auf Cortone beinahe lähmend wirkte.
    Ich bin nicht mehr der Eisenkopf von früher, dachte er. Ich bin verflucht alt geworden. Und eines werde ich mir nicht entgehen lassen, wenn ich schon im alten Europa bin: Ich werde zu meiner Kindheit zurückkehren, nach Randazzo, in das Dorf, das man in die Lavaschichten des Ätna gebaut hat. Ich werde durch die Gassen gehen und das Haus suchen, wo ich geboren bin. Rosa getüncht war es damals, als ich wegzog, um Amerika zu erobern. Und über der Tür war eine Madonna gemalt, ein Werk Feruccio Lapesis, des Anstreichers. Er kam sich immer als ein verkannter Künstler vor und war nur deshalb Kommunist, weil er behauptete, er sei ein Opfer des Staates, der keine Genies fördere, sondern sie verkommen ließe. Und dann die alte Kirche mit dem gelben Turm und den roten Ziegeldächern. Damals war Don Alfredo Priester, und der junge Cortone hatte vor ihm gekniet und sich segnen lassen, bevor er hinaus in die Welt zog. Vor 45 Jahren …
    Dulcan stieß Cortone in die Seite, als die ›France‹ die Freiheitsstatue passiert hatte. »Wach auf!« sagte er.
    »Ich denke an Randazzo …«
    »Besuchen wir es auch?«
    »Sicherlich.« Cortone wandte sich ab. New York im Rücken, das Meer vor sich, kam er sich wie ein Ausgestoßener vor. Er wollte diesen Gedanken verdrängen, aber er blieb haften wie Schleim. »Ich habe manchmal – nicht oft, ja sogar selten, aber dann intensiv – daran gedacht, wieder zurück in die Heimat zu ziehen.

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