Die Drohung
Dulcan und Bertie Housman wohnten vier Häuser weiter in der Pension ›Lettenmayer‹.
Sie hatten richtig kalkuliert: Die Überwachung der Hotels und Pensionen, die Beutels angeordnet hatte, war längst abgelaufen. Seit Wochen bereits fluteten aus allen Ländern die Gäste nach München … eine Überprüfung jedes einzelnen Ausländers war völlig unmöglich geworden. Außerdem besaß Cortone einen britischen Paß, eine einfache, aber von Beutels nie in Erwägung gezogene Maskerade.
»Da wären wir nun?« sagte Dulcan am zweiten Tag. Er ging mit Cortone am Seeufer spazieren. Lucretia lag auf dem Balkon ihres Zimmers in der Sonne, Housman hatte ein Boot gemietet und angelte. »Wie geht's jetzt weiter?«
»Ich werde mir diesen Dr. Hassler vorknöpfen.« Cortone strahlte wieder Zuversicht aus. Schon am ersten Tag hatte er mit seinem Vertrauensmann von der ›Witwen- und Waisenkasse‹ gesprochen und erfahren, daß Pietro Bossolo verschwunden war. Ein paar deutsche Kriminalbeamte hatten verschiedene italienische Bauarbeiter und Kollegen Bossolos verhört, aber natürlich wußte keiner, was aus ihm geworden war. Das war keine Lüge … Bossolo erschien eines Tages nicht mehr, pflichtgemäß meldete der Abteilungsleiter das der Olympiabaugesellschaft, diese machte eine Anzeige bei der Polizei, die wiederum bei Beutels landete. Ein sinnloser Kreislauf … aber wer wußte das außer ein paar Eingeweihten?
»Und wie willst du ihn sprechen?« Dulcan setzte sich auf eine Bank der Uferpromenade. »Keine Adresse, keine Telefonnummer, kein Kontaktmann. Willst du ihn in München durch Lautsprecherwagen ausrufen lassen?!«
»So ähnlich. Ich annonciere.«
»Und du glaubst, er meldet sich?«
»Bestimmt.«
Dulcan schüttelte den Kopf. Er war ehrlich entsetzt. »Ich hätte nie geglaubt, daß man auf so primitive Weise 30 Millionen verdienen will.«
»Das ist der ganze Trick, Ted! Jeder, der diese Summe hört, glaubt an eine riesenhafte Organisation. Wir gehen die Sache so an, wie der kleine Moritz sich eine Erpressung vorstellt. Das ist genau die Denkweise, die keinem Polizisten einfällt. Man hat aus der Kriminalität ein kompliziertes Ding gemacht … ich führe sie zur Urmutter zurück: Der lautlose Griff in die Tasche.«
Der Hotelportier von der ›Alpenrose‹, der ein wenig englisch sprach, half dem etwas senilen Architekten Steven Olbridge bei der Abfassung einer kleinen Zeitungsanzeige. »Es ist so«, erklärte Cortone, »daß ich einem Kollegen einige böse Dinge an den Kopf geworfen habe. Die Erregung, mein Bester, die verdammte Erregung. Zu hoher Blutdruck, da dampft der Kessel schnell. Nun will ich mich öffentlich entschuldigen. Wie schreibt man so etwas?«
Und so erschien einen Tag später in der ›Süddeutschen Zeitung‹, in der ›Abendzeitung‹, in ›Bild‹ und ›tz‹ unter ›Vermischtes‹ eine jener Anzeigen, die bei den Lesern, die auch Kleinanzeigen studieren und damit mehr Freude erwerben als beim Durchlesen des politischen Teils, helles Entzücken erzeugen:
Die gegen Herrn Dr. Hassler gemachten ehrrührigen Äußerungen, er sei ein Stümper, nehme ich hiermit als unwahr und mit Bedauern zurück. Herr Dr. Hassler ist ein Ehrenmann. Er möge mich, wenn er mir verzeiht, anrufen unter Nr. …
Es folgte die Vorwahl und die Telefonnummer der ›Alpenrose‹ in Tutzing.
»Der ruft nie an!« sagte Dulcan am nächsten Morgen. »Er ist doch hoffentlich kein Idiot!«
»Er wäre einer, wenn er schwiege …« sagte Cortone zuversichtlich.
Um 1 Uhr mittags klingelte auf Cortones Zimmer das Telefon. Mit der Geste eines Siegers hob Maurizio ab. Dabei legte er den Finger auf die Lippen, weil Lucretia fragen wollte, wer das sein könnte.
»Sie sind verrückt!« sagte eine Stimme. Cortone atmete tief auf. Er erkannte die Stimme sofort wieder. Das war ein so gepflegtes Englisch, daß sich ein Amerikaner wundern mußte, was man alles aus einer Sprache machen kann. »Mich beim vollen Namen zu nennen – – –«
»Heißen Sie denn wirklich Dr. Hassler?« fragte Cortone süffisant.
»Natürlich nicht.«
»Dann war's auch kein Fehler. Ich bin in München.«
»In Tutzing. Im Hotel ›Alpenrose‹.«
»Gratuliere!«
»Wozu gibt es Telefonauskunftdienste? Sie kommen früh, zu früh. Die Geldübergabe – das einzige, was Sie wohl interessiert – beginnt am 28. Juli.«
»Ich muß Sie vorher sprechen, Dr. Hassler.«
»Haben Sie den Impulsgeber bei sich?«
»Ja. Natürlich. Glauben Sie, ich komme nach
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