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Die Drohung

Die Drohung

Titel: Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Mongolei erreichte. Von dort konnte ich hinüber nach Japan. Ich war dem Krieg entronnen, der Uniform, dem deutschen Wahnsinn, der sowjetischen Menschenverachtung, der Hölle von Sibirien … ich konnte endlich leben. Da zerstörte die Bombe von Hiroshima auch diese heile Welt. Ich frage Sie, Stepan Mironowitsch: Hat diese Welt nicht verdient, daß man sie vernichtet?«
    »Nein.« Lepkin überdachte seine Situation. Sie war verteufelt kritisch. »Sie töten Unschuldige.«
    »Auch ich war unschuldig – und Suzuki auch. Und unschuldig waren die über zweitausend Kameraden, die ich im Lager 111/1285 mit dem schönen Namen Nowo Tschemskij verrecken sah … zu meinen Füßen, an Entkräftung, Dystrophie, Ruhr, Typhus oder unter den riesigen Baumstämmen, die wir fällen und zum Sägewerk schleifen mußten. Zu Eisen gefrorene Stämme, an denen die Äxte abprallten, als hiebe man gegen Stahlplatten. Aber da war die Norm, die erfüllt werden mußte, diese verfluchte Norm, und wer sie nicht erreichte, dem wurde die Essensration gekürzt. Keiner erreichte die Norm … und da saßen wir auf den Holzpritschen, mit einer Schüssel voll Kipjatok und einer Scheibe glitschigem Brot. Sie kennen Kipjatok, Stepan Mironowitsch? Es ist heißes Wasser, weiter nichts! Damals war ich Sprecher meiner Baracke, aber niemand hörte mich an. Wo ich erschien, beim Lagerkapo, in der Schreibstube, in der Kommandantur, überall trat man mich in den Hintern und ohrfeigte man mich hinaus. Einmal verprügelten sie mich so, daß ich zehn Tage herumlag und keinen mehr erkannte. Seitdem, Genosse Lepkin, rede ich mit keinem Russen mehr, weil er mich doch nicht anhört. Können Sie das verstehen?«
    »Nein!« sagte Lepkin laut.
    »Natürlich. Ihr Russen versteht erst, wenn es um eure Haut geht. Darum habe ich auch gehandelt, Genosse Lepkin.«
    »Damals war Krieg. Krieg ist etwas Schreckliches. Ich verabscheue ihn. Der Krieg macht die Menschen verrückt, wie Wodka, der immer, ohne Unterbrechung, in einen hineinfließt. Der Krieg tauscht das Blut aus gegen den Rausch der Vernichtung. Nicht nur bei uns, Towarischtsch, auch bei Ihnen, bei allen Völkern. Krieg ist das wirksamste Massen-Heroin … er zerstört die Hirne! Übrigens waren Sie nicht allein in Sibirien.«
    »Aber ich vergesse es nicht.«
    »Deswegen wird unsere Welt immer verkrüppelt bleiben … weil keiner vergessen kann, weil der Revanchismus wuchert wie Pilze. Sie sind ein Narr, Towarischtsch!«
    »Das weiß ich. Ein heiliger Narr! Das müßte Sie freuen, Lepkin: In Rußland wurden die heiligen Narren geehrt. Man sagte früher: Aus ihnen spricht Gottes Stimme. Leugnen Sie es nicht, Stepan Mironowitsch.«
    »Das ist ein alter, von uns bekämpfter Aberglaube.«
    »Aber er lebt noch, Lepkin. Hören Sie in mir einen Ihrer von Gott gesandten heiligen Narren, der Ihnen prophezeit: Fliegen Sie nach Moskau zurück, oder Sie kehren nach Moskau heim in einer schmalen, engen Kiste.«
    Lepkin seufzte tief. Er war weit davon entfernt, das lächerlich zu finden, aber er überbewertete es auch nicht. Holden lebte, das war die wichtigste Mitteilung. Um sein eigenes Leben hatte er keine Angst.
    Er hatte kaum aufgelegt, als das Telefon wieder anschlug. Sofort hob Lepkin ab.
    Es war Beutels.
    »Man hat auf Sie geschossen?« rief er. »Hier ist ein Taxifahrer, der eine Anzeige gemacht hat.«
    »Ja. Unser ›Hirn‹.«
    »Ihr Apparat war lange besetzt. Er hat mit Ihnen gesprochen?«
    »Ja. Ein interessanter Mann. Ist aus dem Lager Nowo Tschemskij ausgebrochen. Nördlich von Magadan. 1944. Über die Mongolei kam er nach Japan.«
    »Er hat Ihnen von Hiroshima erzählt?«
    »Nein. Da soll ich Holden fragen. Aber ich kann mir's denken. Wir haben uns weltanschaulich gestritten. Ein typischer deutscher Revanchist. Das vereiste sibirische Brett noch vor dem Kopf.«
    »Und was wollen Sie jetzt tun, Lepkin?«
    »Nichts. Bossolo suchen, das wissen Sie.«
    »Er schießt wieder auf Sie! So wahr wie ich Beutels heiße.«
    »Und ich schieße zurück, so wahr wie ich Lepkin heiße. Auch das weiß er. Jetzt, wo ich ihn gesprochen habe, sehe ich dem 26. August viel ruhiger entgegen. Er hat weniger Format, als wir annehmen. Er ist bereits zerfressen von seinem Selbstmitleid.«
    »Lepkin, vereinfachen Sie die Situation nicht ein bißchen?«
    »Möglich. Es entspricht den Tatsachen. Unser ›Hirn‹ ist paralytisch.«
    »Fragen Sie in Moskau nach. Wir haben doch jetzt wieder einen wichtigen Anhaltspunkt.«
    »Was denn?«
    »Seine

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