Die Duftnäherin
an dem er bemerkte, mit welchen Blicken sein geliebter Onkel seinen kleinen Bruder musterte. Die Begierde troff ihm buchstäblich aus den Augen, kaum dass der Junge in das Alter gekommen war, in dem Egidius gewesen war, als alles begonnen hatte. Unbändige Wut stieg bei der Erkenntnis in ihm auf, dass die Liebe, die er all die Jahre für den Bruder seiner Mutter empfunden hatte, all die Zärtlichkeit und Begierde, die sie miteinander ausgetauscht hatten, nichts weiter waren als die kranken Vorstellungen eines Mannes, der sich kleine Jungen zu Willen machen wollte. Die bittere Wahrheit, dass es nie um ihn selbst gegangen war, sondern dass er immer nur einer von vielen gewesen war, die der Onkel im Laufe seines Lebens zu sich ins Bett geholt hatte, fraß ihn tief in seinem Innersten auf. Er musste um jeden Preis verhindern, dass sein Onkel sich Cornelius nahm. Nicht um diesen zu schützen oder zu bewahren, sondern weil die Liebe und Zärtlichkeit seines Onkels allein ihm gehörte. Ihm allein.
Also tat er, was getan werden musste.
Im Nachhinein, wenn er heute über alles nachdachte, war es der erste Schritt zur Geldkasse seiner Eltern gewesen, deren Inhalt ihm bisweilen ein sehr angenehmes Leben finanziert hatte.
Es war nur wenige Tage nach seinem fünfzehnten Geburtstag gewesen, als er unter falschen Tränen seinen Eltern von den Übergriffen des Onkels berichtet hatte und dabei seine Schmerzen und Qualen, die Angst und die Pein, die er empfunden hatte, bis ins Kleinste erfand. Wie schnell seine Eltern handelten, überraschte ihn. Noch in derselben Stunde, in der die Wahrheit ans Licht gekommen war, sandte sein Vater einen Boten aus und empfing wenig später in seinem Kontor einige Männer, die Egidius noch nie zuvor gesehen hatte. Fasziniert beobachtete er die Veränderung, die seine Beichte bei den Eltern bewirkt hatte. Kein Tag mehr, an dem sie nicht deutlich machten, wie sehr sie das ihm widerfahrene Unglück bedauerten, ihn mit tröstenden Gesten der Zuneigung überschütteten und Anschaffungen für ihn tätigten, die für ihn einen unglaublichen, nie gekannten Luxus darstellten.
Was mit seinem Onkel tatsächlich geschehen war, hatte Egidius nie erfahren, doch gönnte er ihm wegen seines Verrats jede noch so qualvolle Strafe. Über sein Verschwinden verloren seine Eltern niemals ein Wort, ebenso wenig wie über das, was zu seinem Verschwinden geführt hatte. Und doch war das Unausgesprochene immer da gewesen. Wann immer er seine Eltern um etwas bat oder etwas von ihnen forderte, genügte eine schwache Andeutung, mit der er sie an sein Unglück erinnerte, und schon war der Weg für ihn bereitet. Er hatte gut daran getan, auf ihren Rat zu hören und Mechthild zu ehelichen, war doch die Aussteuer, die diese mit in die Ehe brachte, mehr als großzügig gewesen.
Nur eines hatte er seither nie mehr vermocht: zu lieben. Wenngleich er wusste, dass er nur ein Spielball für den Älteren gewesen war, so hatte er nach ihm doch keinen anderen Menschen mehr in seinem Leben geliebt. Nie mehr hatte er einen anderen Mann angerührt, auch wenn er Frauenkörper bis heute verachtete. Ihre gerundeten Hüften, die widerlich weiche Haut. Nichts, was ihn an ihren Leibern reizte, einzig, sie leiden zu sehen und zu erniedrigen, verschaffte ihm eine gewisse Befriedigung.
Ein Poltern riss ihn aus seinen Gedanken.
»Hier bist du also!« Helme war eingetreten und ließ sich unaufgefordert auf einen der Stühle fallen. »Die ganze Stadt ist in Aufruhr, und du stehst in deinem Kontor und lässt dir das Beste entgehen.«
Egidius sah ihn nur an. Helme war über und über mit Blut bespritzt. An seinem Kopf war ein kleines rotes Rinnsal getrocknet, und eine kräftige Beule und ein blaues, geschwollenes Auge verrieten, dass auch er nicht ganz ungeschoren davongekommen war.
»War ganz schön knapp. Wyland hat mich ziemlich am Wickel gehabt. Ich hätte nicht gedacht, dass er so gut mit einer Klinge umzugehen versteht.« Bewunderung schwang in seiner Stimme. »Wäre er nicht durch das Gekreische irgendeiner Judenhure abgelenkt gewesen, wäre mir kaum die Flucht gelungen.« Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Aber dein Problem habe ich vor meiner Begegnung mit ihm noch gelöst.«
Egidius hatte kein Interesse, ihn zu fragen, was er damit meinte. Die geschlachteten Menschen im Judenviertel hatten die Erinnerungen an seinen Onkel nach all den Jahren wiedererweckt. Weshalb, konnte er nicht sagen. Mit Ekel blickte er auf Helme,
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