Die Duftnäherin
Händen, an dem sie bereits eine Naht gesetzt und eine zweite zum Rand hin begonnen hatte. Dazwischen war eine kleine Wölbung zu erkennen.
»Siehst du, hier? Ich habe anstatt einer einzigen Naht noch eine zweite am Saum des Kleides gesetzt und den Stoff dazwischen mit Seife gefüllt. So verströmt die Seife ihren Duft bei jeder Bewegung des Kleides. Das Tuch, das sie einschließt, ist eng gewebt. Selbst wenn das Kleid wieder und wieder gewaschen wird, löst sich die Seife erst nach einer ganzen Weile vollständig auf und verströmt dennoch weiter ihren Duft, der sich über die Zeit hinweg im Gewebe festgesetzt hat.«
Margrite nahm das Gewand und hielt es sich unter die Nase. Mit den Fingern tastete sie über die kleine Wölbung, die am Saum durch das Einnähen der Seife entstanden war. Mit den Fingerspitzen strich sie gleichmäßig und vorsichtig an den Nähten entlang. »Ich wollte nur fühlen, ob es beim Tragen kratzen oder drücken könnte. Im Saum ist das ja nicht der Fall, aber wenn du die Seife auch noch irgendwo weiter oben einnähen willst …«
»Daran habe ich auch gedacht.« Sie nahm den Stoff wieder an sich, zog die Naht unterhalb der Seife etwas auseinander und hielt ihn dann der Freundin wieder unter die Nase. »Siehst du. Ich habe die Seife zuerst in eine ganz feine, hauchdünne Schicht Seide gehüllt und erst danach eingenäht. Dadurch löst sie sich nicht so schnell auf, verbindet sich beim Waschen mit der dünnen Hülle und kann nicht drücken.«
»Du hast wirklich an alles gedacht.« Margrite war voll der Bewunderung. »Das ist etwas völlig Neues und wird die Damen begeistern. Jetzt musst du nur noch an die richtige Kundschaft kommen. Einfache Mägde werden sich das nicht leisten können.«
»Aber so viel aufwendiger und dadurch teurer ist die Verarbeitung doch gar nicht.«
Margrite lächelte verschlagen. »O doch, mein Kind, das ist sie! Schlag dir den Gedanken, einfache Kleider für einfache Menschen herzustellen, ein für alle Mal aus dem Kopf. Kauf nur die besten und schönsten Stoffe und nähe nur die auffälligsten Kleider. Wir werden Seife mit verschiedenen Düften herstellen, die jedem Gewand seine ganz eigene Note geben.« Sie fuchtelte mit den Armen aufgeregt in der Luft herum und schaute zur Decke hinauf, als würde sie dort oben bereits eine ganze Menge duftender Kleider vor sich sehen.
»Aber«, zögerte Anna, »die hohen Damen werden kaum bei einer wie mir kaufen.«
»Bei einer wie dir?«, echote Margrite. »Du meinst, sie werden sich zu fein dafür sein, bei der Enkelin eines der höchsten Ratsherren dieser Stadt zu kaufen?« Sie grinste breit.
»Er hat meine Mutter fortgeschickt«, erinnerte Anna an das, was Siegbert ihr und Margrite gestanden hatte.
»Und er hat dich gesehen und will dieses Unrecht an dir wiedergutmachen.« Margrite nahm Anna den Stoff ab, legte ihn auf den Tisch und fasste die Freundin an beiden Händen. »Begreif doch, das ist eine einmalige Gelegenheit. Und du verdienst sie.«
Anna war gerührt. Margrite war völlig uneigennützig und meinte es immerzu nur gut mit ihr. »Aber ich habe nicht das Geld, um mir nur die allerbesten Tuchwaren zu kaufen. Und ich möchte Siegbert nicht …«
Margrite unterbrach sie. »O nein! Das musst du auch nicht. Du wirst ihn nicht um Geld bitten, ganz gleich ob er dein Großvater ist oder nicht. Ich werde dir das Geld geben.«
»Aber, hast du denn so viel?«
»Vielleicht nicht viel, aber dafür wird es reichen. Und ich schenke es dir auch nicht, sondern du hast mir jede einzelne Münze zurückzugeben und noch einen Aufschlag für die Seife dazu. So mache ich ein gutes Geschäft, und du wirst erst vor deinen Großvater treten, wenn du eine Auswahl an vornehmsten Kleidern fertiggestellt hast. Dann kann er dich auch in die richtigen Kreise einführen und den hohen Damen vorstellen, die sich um deine Gewänder streiten werden.«
Eine warme Woge flutete Anna. Sie würde nähen können, Kleider aus edelsten Stoffen, Gewänder, deren Pracht alles bislang Dagewesene überstrahlte. Durch ihrer eigenen Hände Kraft und Geschicklichkeit würde sie ein für alle Mal dem ewigen Kreislauf aus Angst und Gewalt entkommen, den sie in Lünen zurückgelassen hatte. Ihre ständige Furcht, ihr Vater könnte sie aufspüren und sie wieder mit sich nach Hause nehmen, wich langsam von ihr. Das Bild des verhassten Mannes tauchte vor ihrem inneren Auge auf und bewirkte, dass sie sich unwillkürlich vor Abscheu schüttelte.
»Was ist?
Weitere Kostenlose Bücher