Die Duftnäherin
ihn dabei beobachten mochte. Alles war verloren.
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36 . Kapitel
W äre er ein besserer Mensch gewesen, hätte der Fleiß und Eifer, mit dem die Jungen die Schiffe in seinem Auftrag entluden und sich abrackerten, seinem Gewissen sicher zu schaffen gemacht. Doch er war nun einmal nicht besser, als er eben war.
Das Anwerben der Straßenkinder hatte sich als genialer Einfall erwiesen, der ihm nun jede Menge leicht verdientes Geld in die Kasse spülte.
Zufrieden nahm er zur Kenntnis, wie die Nachricht, dass es am Hafen einen gäbe, der den Straßenjungen Arbeit verschaffte und sie danach auch tatsächlich bezahlte, schneller die Runde machte als jede Krankheit, die man sich im Hurenhaus holen konnte. Die einzige Frage war nun, wie lange sich die Stadtoberen seine einträglichen Geschäfte noch gefallen lassen würden. Schließlich gehörte er keiner Zunft an und hatte auch sonst kein Gewerbe angemeldet, um die Abgaben zu bezahlen, die neuerdings innerhalb der Mauern Bremens erhoben wurden. Anfangs war nur eine Ziese, eine städtische Verbrauchssteuer, beim Weinhandel zu zahlen gewesen, der mittlerweile ausschließlich vom Rat betrieben werden durfte. Inzwischen waren jedoch Kämmerer im Einsatz, die für fast jede Tätigkeit, mit der in Bremen Geld verdient werden konnte, Steuern verlangten. Dafür waren sogar Sonderkassen eingerichtet worden, die nicht mehr der direkten Verantwortlichkeit des Rates unterstanden. Die Bremer beklagten sich mehr als einmal deutlich über die Abgaben, doch ihre Rufe verhallten ebenso ungehört wie die Forderungen der Zünfte nach mehr Mitspracherecht im Rat, in dem sämtliche für die Stadt wichtigen Entscheidungen getroffen wurden. Schon machte der Begriff »Klüngelwirtschaft« in den Schänken die Runde.
Doch Hanno war dies einerlei. Er tat, was er tat, solange es eben gutging und er ungeschoren davonkam. Was danach folgte, würde man sehen. Langsam zog er seine Flöte hervor. In letzter Zeit waren ihm viele alte irische Weisen und Melodien wieder in den Sinn gekommen. Es war wohl verfrüht gewesen zu glauben, dass er, so jung, wie er war, in Bremen eine zweite Heimat gefunden hatte. Doch er musste zugeben, dass ihm das geordnete Leben, das er hier führte, gefiel. Eine bequeme Schlafstatt in einem Haus, ein stets gefüllter Magen und neben der Arbeit immer noch genug Zeit, um auf einem Findling im Hafen zu sitzen und zuzusehen, wie die Schiffe ein- und ausliefen. Ja, daran hätte er sich durchaus gewöhnen können. Doch die vergangenen Jahre hatten ihn gelehrt, dass nichts von Dauer, nichts von Bestand war, auch wenn er in letzter Zeit nichtsdestotrotz oftmals daran dachte, wie es wohl wäre, nicht mehr weiterzuziehen. Er würde nicht ewig mit der Arbeit im Hafen sein Geld verdienen können. Und selbst wenn, wäre dies eine äußerst unsichere Angelegenheit. Zumindest wenn er wirklich sesshaft werden und eine Familie gründen wollte. Eine Familie. Es war das erste Mal, dass er den Gedanken daran nicht sofort wieder zurückdrängte. Er schalt sich selbst einen Narren ob seiner Tagträumerei, aber sosehr er sich auch sagte, dass diese sowieso niemals Wirklichkeit werden würde, erfüllte sie ihn doch mit tiefer Zufriedenheit. Und mochte er es auch nicht zugeben, wusste er außerdem ganz genau, was diesen Wunsch in ihm ausgelöst hatte. Tag für Tag sah er sie, wenn sie in die Küche kam, um dort das Morgenmahl einzunehmen. Die Schwester seines besten Freundes Gawin war nicht nur schön, sondern auch bemerkenswert klug. Mehr, als dies bei einer Frau vielleicht wünschenswert war. Hanno entfuhr ein kleiner Seufzer bei dem Gedanken an Anna. Ihr Bruder war bei einem Zimmermann als Lehrjunge untergekommen. Inzwischen hatte er sogar eine schriftliche Bestätigung dafür von einem der Stadtschreiber erhalten. Eines Tages würde er Geselle und irgendwann sogar Meister werden, wenn er nur fleißig weiterarbeitete und sich geschickt genug anstellte. Und Hanno hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass Gawin genau dies tun würde. Seine eigene Situation kam ihm im Vergleich zu der des jüngeren Freundes dagegen aussichtslos vor. Aber es brachte auch nichts, immer wieder darüber nachzudenken. Er seufzte erneut, erhob sich dann von seinem Findling, verstaute die Flöte und ging zu den Burschen hinüber, die nun ihrerseits aufgesprungen waren und darauf warteten, einen weiteren Auftrag von ihm zu erhalten.
Während er mit den Jungen sprach und sie für das Abladen des nächsten Schiffes
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