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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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Hand und streckte sie Helme entgegen.
    »Mein Freund!«
    Helme zögerte und schluckte schwer, machte dann aber einen schnellen Schritt auf ihn zu. Er stützte ihn und ließ ihn sanft zu Boden gleiten, wo Egidius mit einem Ausdruck des Glücks im Gesicht bewegungslos liegen blieb.
    »Ich hole einen Medicus«, stammelte Helme.
    »Nein. Bleib bei mir. Geh nicht.«
    »Warum hast du das getan?« Die Verzweiflung ließ Helmes Stimme zittern.
    »Lass nur«, brachte der Sterbende hervor. »Jetzt ist alles gut. Ich habe mich nicht in dir getäuscht. Du liebst mich.« Er hob die Hand und strich Helme mit einer zärtlichen Geste über das Gesicht. Ein letztes Lächeln, dann schloss er die Augen, seine Hand fiel herab, und sein Kopf sank zur Seite.

    Helme blieb neben dem Toten auf dem Boden sitzen. Nie zuvor hatte ihn das Sterben eines Menschen auf diese Weise berührt. Wieder versuchte er zu verstehen, warum Egidius ihn angegriffen hatte.
    Er hörte ein Poltern draußen auf dem Flur, doch er blieb sitzen und reagierte nicht weiter darauf.
    »Aber Euer Bruder hat Besuch, Herr. Ich bitte Euch!«
    Die Tür zum Kontor wurde aufgerissen, und Cornelius erstarrte bei dem Anblick, der sich ihm bot.
    »Was …?«
    Helme sah auf, und erst jetzt kehrte sein Überlebensinstinkt zurück. Flucht! Er sprang auf und wollte aus dem Raum eilen. Noch im Laufen zog er sein Schwert.
    Cornelius griff ebenfalls nach seiner Klinge, konnte sie aber nicht mehr rechtzeitig aus der Scheide ziehen. Helme holte aus und versetzte ihm mit der Breitseite seines Schwertes einen wuchtigen Hieb gegen die Brust. Der Patrizier taumelte, und Helme nutzte die Gelegenheit, um durch die nunmehr freigegebene Tür in den Flur zu gelangen. Dort wich der Diener ängstlich einige Schritte vor ihm zurück, ging in die Hocke und hielt sich schützend beide Hände über den Kopf.
    Helme beachtete ihn nicht weiter. Er rannte zur Haustür und auf die Straße hinaus.
    Cornelius warf einen kurzen Blick auf seinen Bruder und sah sogleich, dass diesem nicht mehr zu helfen war. Sofort nahm er die Verfolgung des Mörders auf. Doch als er die Straße erreichte, war von diesem weit und breit keine Spur mehr zu sehen. Auf gut Glück wandte sich Cornelius nach rechts Richtung Marktplatz. An der nächsten Ecke blieb er stehen und prüfte, ob sich Egidius’ Mörder in der von dort abgehenden kleinen Gasse versteckt hatte. Nichts. Also rannte er zum Marktplatz weiter. Doch seine Hoffnung, den Mörder hier zu entdecken, schwand. Schreiende Menschen rannten auch hier, ein gutes Stück vom Judenviertel entfernt, noch immer kopflos durcheinander. Zwar waren es deutlich weniger als noch vor ein paar Stunden, doch schien der Wahnsinn die Menschen noch nicht vollständig aus seiner Umklammerung entlassen zu haben.
    Cornelius wusste nicht weiter. Der Mörder konnte überall sein. Er selbst war zum Haus seines Bruders gegangen, um diesen zur Rechenschaft zu ziehen und wegen der Morde im Judenviertel anzuklagen. Er wusste genau, was er dem ungeliebten Familienmitglied mitten ins Gesicht sagen wollte – unter anderem, dass er ihn dafür bestraft sehen wollte, die Kölner aus Geldgier und Eigennutz gegen die Juden aufgestachelt zu haben. Zusammen mit anderen hatte er bewirkt, dass brave Bürger zu Mördern und Vergewaltigern geworden waren. Cornelius wollte, dass die Schuldigen dafür zur Verantwortung gezogen wurden. Sie und ihre Angehörigen sollten ebenso leiden wie die jüdischen Familien, die durch ihre Schuld gemeuchelt worden waren.
    Aber nun war Egidius tot. Gemordet von dem Mann, mit dem er, wie Cornelius vermutete, die ganze Zeit über gemeinsame Sache gemacht hatte. Zwar hatte er keine handfesten Beweise dafür, doch hatte er über die Jahre hinweg gelernt, seinem Gefühl zu vertrauen. Auch wusste er nicht, welcher andere Zusammenhang sonst noch zwischen den beiden Männern bestehen sollte.
    Was würde nun geschehen? Wer konnte bestraft, wer für die Greuel verantwortlich gemacht werden? So viele Kölner hatten ihre Hände mit Blut befleckt. Wie würde je wieder Ordnung und Friede in einer Stadt Einzug halten können, in der solch ein schreckliches Morden nicht von Soldaten, sondern von einfachen Bürgern begangen worden war? Wie sollte man mit den wenigen Juden, die das Gemetzel überlebt hatten, weiterhin Haus an Haus wohnen?
    Am Ende seiner Kraft, ließ er sich mitten auf der Straße zu Boden sinken, hielt sich die Hände vors Gesicht und begann bitterlich zu weinen. Ihm war egal, wer

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