Die Duftnäherin
Ihr entladet die Schiffe. Ich werde ebenfalls mithelfen. Für jedes abgeladene Schiff gebe ich euch einen Pfennig.«
»Einen Pfennig für jeden von uns?«
»Für den Anfang für euch beide zusammen. Aber wenn ihr gut arbeitet und flink auf den Beinen seid, gibt es mehr.«
Die beiden sahen sich an. Ohne ein Wort waren sie sich einig und sprangen von dem Findling auf. »Wann können wir anfangen?«
»Sobald das nächste Schiff einläuft. Wie heißt ihr zwei?«
»Ich bin Bruno, und das ist Haug«, antwortete der größere.
»Seid ihr Brüder?«
»Nee, das nicht. Aber wir haben nur uns.«
»Ich verstehe. Also, haltet euch in der Nähe auf. Sobald das nächste Schiff einläuft, bei dem sich die Arbeit lohnt und von dem wir den Zuschlag erhalten, werde ich euch rufen.«
Die Jungen sahen sich darauf ein wenig ratlos an und setzten sich dann schweigend wieder auf ihren Stein. Es dauerte nicht lange, bis die nächste, tief im Wasser liegende Kogge im Bremer Hafen anlegte. Hanno ging gemäßigten Schrittes zu ihr hinüber, ließ sich vom Bootsmann das Seil zuwerfen und vertäute es am nächsten Pflock.
»Braucht Ihr Hilfe beim Abladen?«
Schnell wurden sie sich handelseinig. Hanno schlug bei fünf Pfennigen ein. Und seine soeben von ihm angeworbenen Helfer erwiesen sich als flink. Wofür ihre Kräfte nicht reichten, das glichen sie mit Schnelligkeit aus. Er war sehr zufrieden mit seinen kleinen Angestellten. Hätte er die ganze Arbeit allein verrichtet, wäre er nicht nur viel langsamer gewesen, sondern die Bootsleute hätten auch den größeren Teil des Abladens selbst erledigt, wodurch er wiederum weniger verdient hätte. So hatte er fünf Pfennige statt der üblichen drei verdient. Machte einen Pfennig mehr als sonst, obwohl er einen an die Jungs weitergegeben hatte und längst nicht so viel hatte arbeiten müssen. Er war zufrieden mit sich. Auf dem Nachhauseweg spann er den Gedanken weiter. Es gab viele Straßenjungen in Bremen, wenngleich die Oberen der Stadt sie am liebsten vertrieben hätten. Solange sie noch klein und nicht in der Lage waren, sich Arbeit zu suchen, war für sie die Gefahr, beim Stehlen erwischt zu werden und eine Hand zu verlieren, daher groß. Vielleicht ließe sich ein richtiges Geschäft damit aufziehen. Und noch bevor er Margrites Haus erreicht hatte, war aus einer kleinen Beobachtung am Hafen ein großer Plan erwachsen.
»Du bist die Enkelin eines der mächtigsten Ratsherren und reichsten Mannes dieser Stadt und willst weiter hier wohnen bleiben und Kleider nähen? Hast du etwa deinen Verstand in der Seifenlauge aufgeweicht, die du gerade verschüttet hast?«
Margrite hatte sich, die Arme vor der Brust verschränkt, vor Anna aufgebaut und blinzelte sie fast zornig an. »Dir steht ein angenehmeres Leben zu, als du es hier je finden wirst.«
»Ich weiß«, kam zögerlich die Antwort. »Doch versuche wenigstens, mich zu verstehen.« Anna sah ihre Freundin mit festem Blick an. »Ich bin glücklich hier bei dir. Und ich liebe meine Arbeit, auch wenn meine Finger durch das Nähen zerstochen und meine Hände durch das Sieden immer runzliger werden. Ich will hier nicht weg.«
»Ach, Anna. Zauberhafte, schöne Anna.« Margrite setzte sich neben sie auf die Bank in der Küche. »Noch erscheint dir das alles wie das große Glück. Aber was wird in ein paar Jahren sein? Im Haus des Alten von Goossen wäre deine Zukunft gesichert. Du bist sein Fleisch und Blut, Kind.«
Anna seufzte. »Du hast ja recht, aber seit ich von zu Hause fortgelaufen bin, hat sich so vieles in meinem Leben verändert.« Sie zögerte. »Ich will jetzt mehr.«
Margrite sah ihre Freundin, in deren Augen sie das Feuer des Aufbruchs erkennen konnte, nur an. Sie kannte das Gefühl, das sie ebenfalls schon einmal in ihrem Leben verspürt hatte, nur zu gut – auch wenn dies lange Zeit zurücklag.
»Was ist denn dieses Mehr, das du willst?«
Anna legte beide Hände an die Brust, schloss die Augen und hob lächelnd den Kopf. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme schwärmerisch. »Margrite, ich habe da einen Gedanken, einen Einfall, den ich so gern probieren möchte.«
»Nämlich?«
»Du hast mich darauf gebracht. Es gibt zwei Dinge, die eine Frau sogleich zum Strahlen bringen: ihr Aussehen und ihr Duft. Wie wäre es also, wenn wir beides zusammenbringen würden?«
»Ich verstehe nicht …«
»Warte einen Augenblick!« Anna sprang auf und rannte aus der Küche. Als sie wieder zurückkam, hielt sie einen Stoff in den
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