Die Duftnäherin
deshalb sage ich euch …«, er verstummte.
Einen Lidschlag lang schien es, es bekäme er keine Luft mehr. Er atmete mehrmals tief ein, kam dann ins Wanken und machte einen Schritt rückwärts, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Eilig sprangen zwei Büttel herbei und stützten ihn, als er sich mit schmerzverzerrter Miene plötzlich an die Brust griff.
Entsetzte Rufe wurden laut, und Anna wurde bang. Der Blick des Ratsherrn war noch immer starr auf sie gerichtet, und nun deutete er auch noch mit zitternder Hand auf sie. Die Büttel begriffen zunächst nicht, folgten dann aber seinem Fingerzeig und visierten Anna nun ihrerseits. Entsetzt und voller Angst drehte diese sich um und versuchte, sich ihren Weg durch die Menge zu bahnen. Sie schubste, drückte und stieß die Menschen, um nur ja möglichst rasch von hier fortzukommen, fort von dem irren Blick des Ratsherrn, den sie noch immer in ihrem Rücken spürte. Als sie sich kurz umdrehte, sah sie, dass sich nun einer der Büttel in Bewegung gesetzt hatte und sie verfolgte. Kopflos boxte sie sich darauf durch die Menge, soweit das Gedränge es zuließ, und hörte die Verwünschungen derer, die sie beiseitegestoßen hatte. Sie bückte sich, um schmerzhaften Hieben auszuweichen, und schlängelte sich immer weiter vom Marktplatz fort. Anna wagte nicht, sich umzudrehen und zu schauen, wie nahe der Büttel schon zu ihr aufgeschlossen hatte. Ohne eine bestimmte Richtung anzuvisieren, schlug sie Haken um Haken, wo auch immer sich eine kleine Lücke zwischen den Leibern auftat. Dann – von einem Moment zum anderen – war sie aus der Menge heraus. Gehetzt blickte sie sich um. Wo war sie? Ohne lange nachzudenken, huschte sie in die vor ihr liegende kleine Gasse, bog um die nächste Ecke und rannte weiter, ohne sich umzusehen. In ihren Ohren rauschte es dumpf, doch weitere Geräusche, wie die hinter ihr hereilenden Schritte eines beschuhten Büttels, konnte sie beim besten Willen nicht ausmachen. Hastig lief sie immer weiter, bis sie sich schließlich am Hafen wiederfand, wo, im Gegensatz zum sonstigen bunten und regen Treiben, heute ausnahmsweise einmal Ruhe und Stille herrschten. Wahrscheinlich hatten sich nicht einmal die Händler und Hafenarbeiter die Vorstellung auf dem Marktplatz entgehen lassen wollen. Sie spähte nach einem Versteck, denn sollte ihr der Büttel doch bis hierher gefolgt sein, würde er sie auf dem leeren Kai sofort entdecken. Anna rannte zu einem der Lastkähne hinüber, kletterte über die Reling, hob eine der auf Deck liegenden Planen an und kroch darunter. Noch immer waren keine Schritte zu vernehmen. Auch keine Stimme, die nach ihr rief oder sie dazu aufforderte, sich zu stellen. Angestrengt horchte sie auf jedes Geräusch. Fast ärgerlich nahm sie das laute Klopfen ihres Herzens wahr, das jeden anderen Laut zu übertönen schien. Vorsichtig hob sie das Tuch an, um mehr Luft zu bekommen. Unwillkürlich lugte sie dabei auch in Richtung Kai, um einen möglichen Verfolger erspähen zu können. Aber im Hafen schien sich nach wie vor kein Mensch aufzuhalten.
Ein Räuspern ließ sie zusammenfahren.
»Du kannst da ruhig rauskommen. Hier ist niemand außer mir.«
Erschrocken blickte Anna auf eine Schuhspitze, als sie den Überwurf ein wenig anhob. Schon sah sie sich, ohne zu wissen, was ihr überhaupt vorgeworfen wurde, genau wie die Gefangenen zuvor auf einem Wagen zum Marktplatz fahren, wo sie bestraft werden sollte und die Leute sie anspuckten, um ihr ihre Verachtung zu zeigen. Was für eine Demütigung! Anna schloss kurz die Augen und atmete tief ein, dann hob sie die Plane hoch und krabbelte unter ihr hervor. Vor ihr stand breitbeinig ein Mann, die Hände in die Hüften gestemmt, und beobachtete sie.
»Was treibst du denn da?«, fragte er amüsiert.
Er war nicht der Büttel, der sie verfolgt hatte, erkannte Anna erleichtert und richtete sich dann langsam auf, während sie fieberhaft nach einer geeigneten Erklärung suchte.
»Ich wollte nur …«, war das Einzige, was sie hervorbrachte.
»Was? Dich verstecken, vermute ich mal.« Er musterte sie, lächelte aber gutmütig dabei. »Na, lass mal gut sein. Meinethalben kannst du dich noch einen Moment hier aufhalten, aber ich werde bald auslaufen. Bis dahin musst du fort sein.«
Anna nickte kurz und spähte dabei auf das Kai hinunter, um zu sehen, ob der Büttel inzwischen den Hafen erreicht hatte.
»Ich sag dir rechtzeitig Bescheid, bevor ich die Leinen losmache.« Er wandte sich um und ging
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