Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
Vom Netzwerk:
zurückrannte. Es war ein trüber Nebeltag und wohl nur deshalb hatte sie sich am Tage herausgewagt. Sie eilte mit mir in das Badezimmer und wusch mir sofort mit einem nassen, kalten Waschlappen das Blut vom Mund und aus dem Gesicht. Dann entkleidete sie mich in Windeseile und steckte mich in die Badewanne, wo sie mich mit der Brause kräftig abspülte. Ich sah, wie es blutig rot in den Ausguss floss, und konnte nicht aufhören zu jammern. Nachdem sie mich abgetrocknet hatte, wickelte sie mich in ein großes Badetuch und nahm mich auf ihren Schoß. »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte sie immer wieder tröstend, »es ist alles gut.«, Ich schloss die Augen und legte meinen Kopf an ihre Brust. Viel zu selten waren wir so eng miteinander. »Ist das Huhn jetzt tot?« fragte ich. »Ich wollte nicht, dass es tot ist, aber ich war auf einmal so durstig.« Ich weiß nicht mehr, wie ich in mein Bett gekommen bin. Jedenfalls schlief ich gut. Am nächsten Tag sprach niemand mehr von dem Vorfall, nur als wir alleine in der Bibliothek waren und Bücher abstaubten, meinte meine Mutter ruhig, aber bestimmt, dass es sich für kleine Mädchen wie mich nicht gehörte, Hühnern die Köpfe abzubeißen. Ich habe es auch nie wieder getan.
     
    Lenz wirkte irritiert. Aber er versuchte das Beste daraus zu machen.
    »Was spüren Sie stärker, wenn Sie an diese Situation zurückdenken, das schlechte Gewissen, weil Sie offensichtlich in triebhafter Weise ein Huhn getötet haben, oder Zufriedenheitdarüber, dass Ihre Mutter Ihnen zu Hilfe geeilt ist und Sie getröstet hat? Sie also durch diese makabre Aktion ihre Aufmerksamkeit gewinnen konnten?«
    Hatte er nicht hingehört? Ich hatte doch wohl deutlich zu erkennen gegeben, dass ich die Nähe zu meiner Mutter genossen hatte. Also sagte ich boshaft und um ihn noch ein wenig mehr zu verwirren: »Am schönsten fand ich es, als ich das kopflose Huhn in den Händen hatte und sein warmes Blut schlürfen konnte.«
    Aber statt sich über diese Perversion aufzuregen, nahm er mir das einfach nicht ab, lachte und meinte: »Sie sind ein Schelm, Amanda! Man soll seinen Analytiker nicht foppen! Wenn Sie mich weiter so wenig ernst nehmen, muss ich Sie zu Professor Müller-Wagner schicken, damit er Sie ein wenig schockt!«
    Ich richtete mich auf und warf das Kissen, auf dem mein Kopf geruht hatte, nach ihm. »Sie sind ein Ekel, Herr Lenz! Mit Elektroschocks macht man keine Scherze!«
    »Mit toten Hühnern auch nicht!«
    Ich lehnte mich wieder zurück und sagte leise:
    »Das war kein Scherz.«
    Nun war er geschockt.
    Er sah mich lange schweigend und nachdenklich an, dann schien er zu einem Entschluss gekommen zu sein, denn er meinte mit fester Stimme und sehr bestimmt:
    »Freud ist überzeugt, dass die frühen Kindheitserfahrungen ganz ursächlich für unser Verhalten sind. Zunächst die enge Bindung zwischen Kind und Mutter und später der Vater, der das Kind aus dieser Beziehung befreit, damit es ein selbstständiges Wesen werden kann. Sie haben Ihren Vater früh verloren und die Bindung zur Mutter scheint mir problematisch. Ich möchte darum gerne mit Ihnenin Ihre Kindheit zurückreisen, denn ich glaube, dass dort zumindest ein Schlüssel zum Schrein Ihrer Erinnerungen liegt. Wollen Sie ihn mit mir zusammen suchen, Amanda?«
    Ich nickte und hätte ihm alles zugesagt, wenn es mich nur aus dieser Anstalt heraus- und wieder nach Blankensee zurückbrachte.
    So war alsbald mit Prof. Müller-Wagner eine Übereinkunft erzielt, die Conrad Lenz gestattete, mit mir nach Blankensee zu fahren, um dort die Analyse fortzusetzen.
    »Sie werden sehen, Amanda, am Ort Ihrer Kindheit, werden wir die Ursache für Ihre seelische Erkrankung endgültig aufdecken und die Erklärung dafür finden, warum Sie ein so animalisch triebhaftes Verhalten gezeigt haben, das zu Ihrer Einweisung in die Klinik geführt hat. Wenn wir wissen, wie es zu dieser Verstörung kam, können wir sofort eine passende Therapie beginnen.«
    So packte ich nach mehr als drei Jahren Isolationshaft in der Irrenanstalt meine wenigen Habseligkeiten zusammen und fuhr an einem düsteren Spätnachmittag im Dezember des Jahres 1921 mit Conrad Lenz in einem Automobil hinaus in die Mark nach Blankensee.
     
    I
ch war aufgeregt und fürchtete mich auch ein wenig vor dem, was mich dort erwartete. Ich wurde das unangenehme Gefühl nicht los, dass ich unendlich viel vergessen hatte, weil die Elektroschocks Löcher in mein Gehirn gebrannt hatten, die sich erst

Weitere Kostenlose Bücher