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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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langsam wieder schlossen. So wie auf der Haut, wenn sie verletzt wird, Narben zurückbleiben, so schien nun auch mein Gehirn von Narben durchzogen zu sein. Aber Narben sind gefühllos … vielleicht war mein Gehirn deswegen so bewusstlos?!
    Oder es war, wenn ich Lenz folgte, ein Großteil dessen,was dort einmal war, einfach ins Unbewusste abgesackt. Warum? Weil es mich dort vielleicht weniger schmerzte? Weil selbst die Erinnerung an die schönen Dinge mir wehtat, weil ich sie unwiederbringlich verloren glaubte und die schrecklichen dort gnädig im Verborgenen ruhten? Weil nur Vergessen mir die Kraft zum Weiterleben gab?
    Eins aber hatte ich nicht vergessen – Blankensee. Offensichtlich war ich mit dem Gut so eng verwachsen, dass es in jeder Faser, jeder Zelle meines Körpers abgespeichert zu sein schien. Eine Art Zellgedächtnis, unauslöschlich selbst für Elektroschocks.
     
    Ich versuchte mir auf der Fahrt das Gut konkret in Erinnerung zu rufen, die Bediensteten, die Familie, aber ich vermochte es nicht. Alles, was ich zustande brachte, war ein tiefes flutendes Gefühl von Heimat. Das verschwommene Bild eines schönen großen Hauses in der Nähe eines Sees, in dessen Garten Rosen wuchsen … Rosen, die plötzlich wie zum Greifen nah vor mir standen, mit Knospen aus dem Strauch wuchsen, sich in duftenden Blüten öffneten …
    Rosen, deren Dornen die Haut aufschlitzten, sodass das Fleisch sich teilte und Blut hervortrat.
     
    »Geht es Ihnen gut, Amanda?«, fragte Lenz fürsorglich und nahm meine kalten Hände in die seinen, um so beruhigend auf mich einzuwirken. Seine Berührung erregte mich … der Gedanke an Blut weckte die Begierde nach dem seinen. Wir saßen beide auf der Rücksitzbank des Automobils, welches der Klinik gehörte und das uns Professor Müller-Wagner samt Chauffeur zur Verfügung gestellt hatte. Der Mann sah unbeteiligt auf die Straße. Die animalische Erregung vibrierte in mir, fraß sich durch meine Eingeweide,brach bis auf die Haut durch und jagte mir Schauer über den ganzen Körper. Ich begann zu zittern, und während mir die Zähne aufeinanderschlugen, knirschte es in meinem Kiefer und vor meine Augen zog ein Schleier auf, der sich rot und immer röter einfärbte …
    Lenz ließ mich los.
    »Amanda, was ist mit Ihnen … ist Ihnen kalt? Wie dumm von mir, es ist Dezember, ich hätte an eine Decke denken sollen!«
    Ich schluckte, mit seiner Hand hatte er mir den Kontakt entzogen, der die Glut der Begierde angefeuert hatte.
    Als ich die Augen schloss, löste sich der rote Schleier in blutige Tränen auf, die das hungrige Tier in mir der verpassten Gelegenheit nachweinte.
    »Nein«, sagte ich zu Lenz. »Es ist alles gut. Ich … ich … bin nur so aufgeregt, es freut mich so, bald alle wiederzusehen.«
    Alle? Wen denn eigentlich? Schatten, immer nur Schatten statt Personen … dumpfe Gefühle … statt klarer Gesichter …
    »Auch Ihre Mutter?«, fragte Lenz in meine zersplitternden Gedanken. »Freuen Sie sich auch auf Ihre Mutter?«
    Mich durchzuckte ein irrationaler Schmerz, und weil ich mir das nicht anmerken lassen wollte, lachte ich und sagte gewollt fröhlich:
    »Es wird wunderbar, endlich wieder zu Hause zu sein.« Es war alles andere als das. Denn mein Zuhause, wie es wohl einmal gewesen war, gab es nicht mehr.
    Als wir das Gut erreichten, fiel bereits die Dunkelheit ein und vom See her wehten gespenstische Nebelschwaden herüber. Die Zufahrt war verwildert und das Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert lag wie ausgestorben. Erst alsLenz mehrmals sehr heftig und laut mit dem Türklopfer gegen die Eingangstür donnerte, hörten wir schließlich schlurfende Schritte, die sich näherten.
    Die Tür wurde einen Spalt geöffnet und eine gebeugte Gestalt mit lohendem Haar trat uns entgegen. Sie war mir absolut fremd, und ich fragte mich, ob dieses Faktotum vielleicht ein neu eingestellter Hausmeister war … aber dazu wirkte der Mann irgendwie nicht vital genug. Eher so wie ein Museumswärter im Museum für Altertümer, der selber Gegenstand der Sammlung hätte sein können.
    »Herr Vanderborg?«, fragte Lenz jedoch und schien besser informiert zu sein als ich. Der Name war mir vertraut … aber ich konnte ihn dieser zerbrechlichen Person vor uns nicht zuordnen. Lenz schien das zu bemerken, denn er stellte uns einander vor.
    »Herr Vanderborg, dies ist Ihre Enkelin Amanda. Amanda, Ihr Großvater Jakob Vanderborg«, er verbeugte sich leicht. »Wenn Sie gestatten, Lenz, Dr. Conrad Lenz, ich bin

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