Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Berührung mit dem Bett verursachte mir dadurch unsagbare Pein. Ich hörte, wie sich die Schreie aus meinem Mund zu einer fremden schrillen Klage steigerten, um dann in einem jämmerlichen Wimmern zu versickern, als keine Hilfe kam.
»Wir werden sie zur Badetherapie bringen lassen«, sagte die Stimme von Müller-Wagner, und wenig später schob man mich mitsamt dem Bett in einen grünlich gekachelten Raum, von dessen Wänden jedes Geräusch hallend zurückgeworfen wurde.
Zwei Pflegerinnen entkleideten mich und tauchten meinen nackten Körper in kaltes Wasser. Schlagartig gewann ich einen Teil meiner Sehkraft zurück und stellte fest, dass man mich in eine Wanne gesetzt hatte, die mit einem Deckel verschlossen war, der sich wie ein mittelalterliches Folterinstrumentum meinen Hals legte, sodass nur mein Kopf aus dem Wasser ragte. Später erfuhr ich, dass man mich in ein sogenanntes Deckelbad gesteckt hatte, das man anwandte, um erregte Patienten ruhigzustellen.
Mir schlugen die Zähne haltlos aufeinander und ich glaubte zu Eis zu erstarren, aber der Schmerz, der über meine Haut verteilt war, ließ tatsächlich nach.
Doch immer noch war mir bei allem, was mit mir geschah, als wanderte ich durch einen grauen Nebel, und was ich auch sah, erschien mir fremd und unverständlich. Mein Kopf fühlte sich an wie Watte, und auf meiner Zunge, die geschwollen im schmerzenden Kiefer lag, spürte ich einen bitteren pelzigen Geschmack, der mir Übelkeit verursachte.
Irgendwann verlor ich erneut das Bewusstsein, und als ich wieder zu mir kam, lag ich in dem Bett, das nun auch über meinem Kopf mit einem Gitter verschlossen war, sodass ich mich nicht aufsetzen konnte.
Wie ein gefangenes Tier begann ich zu brüllen, bis eine Pflegerin hereintrat und mich resolut zur Ruhe mahnte.
»Halts Maul, Mädchen, oder du gehst zurück ins Wasser!«, schnauzte sie mich an. Und vor diese Alternative gestellt entschloss ich mich zu schweigen.
Ich weiß nicht, wie lange ich so in kauernder Stellung im Bett verbrachte, irgendwann schob man mich aus der Isolation der weißen Zelle mit dem Guckloch in der Tür in einen Saal mit anderen Patienten, die entweder mit Riemen fixiert auf ihren Betten lagen oder wie ich in einem Käfigbett gefangen gehalten wurden.
Eine unheimliche Ruhe herrschte, die nur hin und wieder von einem leisen Jammern oder Stöhnen durchbrochen wurde.
»Verhalte dich ruhig oder ich muss dir etwas spritzen«,sagte die Pflegerin und schob mein Bett an ein Fenster, durch welches ein Streifen Sonne fiel.
Ich spürte den Schmerz sofort und ich fühlte, wie meine Haut an der Stelle, wo das Licht sie berührte, wässrige Brandblasen bildete. Ich schrie auf.
Eine Erinnerung aus meinen Kindertagen zuckte durch mein misshandeltes Gehirn und ich glaubte meine Mutter sagen zu hören:
»Es gibt in unserer Familie eine, nun, wie soll ich es sagen, Erbkrankheit, die sich in einer stark ausgeprägten Lichtempfindlichkeit äußert. Meide darum das Licht des hellen Tages, ganz besonders aber das Sonnenlicht …«
Ich hatte ihr damals nicht geglaubt, aber offenbar war an ihren Worten etwas dran, denn mein Vater, Amadeus von Treuburg-Sassen, bestand darauf, dass wir stets nur in der Dämmerung ausritten. Und wenn die Kinder von Tante Gertrud und Onkel Hansmann im schönsten Sonnenschein draußen herumtollten, saß ich mit meinem Mädchen Rieke im schattigen Dunkel des Ostflügels und las Bücher mit ihr oder lernte Rechnen und Schreiben und Philosophieren mit meinem neuen Hauslehrer Lorenz, einem Studenten, der an seiner Doktorarbeit über die Gänse auf dem Blankensee schrieb und mich für Kost und Logis unterrichtete. Denn auf die Schule im Dorf wie die Jungen von Hansmann konnte ich wegen der Lichtallergie nicht gehen. Ich hasste dieses düstere Dasein, das ab meinem zehnten Lebensjahr mein Schicksal wurde.
Bis dahin hatte ich genau wie die Buben von Gertrud draußen gespielt, aber dann war ich eines Tages am See diesem kleinen Jungen begegnet … Er versuchte mit einer selbst gebastelten Angel von unserem Steg aus Fische zu fangen,und weil er dabei so unbeholfen wirkte, gab ich ihm ein paar gute Ratschläge zum Beködern seines Hakens mit einem Wurm. Denn so wie er das Würmchen aufspießte, konnte jeder Fisch es gemütlich abnagen, ohne sich auch nur im Mindesten in Gefahr zu bringen. Das Unglück wollte es, dass er bei der Umsetzung meines Rates ein wenig ungeschickt zu Werke ging und sich den scharfen Widerhaken in den kleinen
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