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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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das Ungeborene erheben, und so war es ganz allein meine Entscheidung, ob ich das Kind zur Welt bringen wollte oder nicht. Und weil ich zu der Überzeugung gekommen war, dass die herrschenden Verhältnisse einem Kind nicht zumutbar waren und dramatische Konflikte ihre Schatten düster vorauswarfen, ließ ich an einem stürmischen Abend im September meinen treuen Mathias die Kutsche anspannen, um nach Berlin zu reisen.
    Der Regen peitschte die Bäume und verwandelte die Wege in Schlamm und die Fahrt war sehr beschwerlich, dennoch musste es nun sein und ich war mir sicher, dass Richtige zu tun. Ich hatte die Adresse einer Frau ausfindig gemacht, die Frauen wie mich auch noch in einem fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft von ihrer Leibesfrucht befreiten.
    Es war fast Mitternacht, als wir die schmale Gasse und das Tor zu dem Hinterhof erreichten, wo die Wohnung liegen sollte. Es kostete mich reichlich Überredungskunst, um Mathias überhaupt zu bewegen, mich dorthin zu fahren und dann auch noch auf mich zu warten.
    Erst nach mehrmaligem Klopfen rührte sich etwas im Haus, und schließlich flog im Souterrain ein Fenster auf und eine kratzige Stimme fragte recht ungehalten nach meinem Begehr.
    »Seid Ihr die Engelmacherin?«, erkundigte ich mich in aller Naivität, worauf die Frauensperson zischte: »Schrei hier nicht die Nachbarschaft zusammen! Sonst kannst du es dir gleich auf der Wache selber wegmachen! Ich wandere für dich nicht nach Moabit, mein Liebchen!«
    Ich verstummte und sie öffnete die Tür einen Spalt,sodass ein dämmeriger Lichtschein auf eine Treppe fiel, die direkt in das Untergeschoss führte.
    »Nun komm schon oder willst du Wurzeln schlagen!«
    Ich stieg mit zitternden Knien die Stufen hinunter. Auf der letzten Stufe angekommen griff sie mit kalter Hand nach mir und zerrte mich ins Haus.
    Im funzeligen Schein der Öllampen nahm ich sie wie einen verhärmten Schatten war, der nicht wirklich ein Mensch sein konnte. Ihr Alter war nicht auszumachen, zwischen vierzig und hundert war alles möglich. Ihre Wangen wirkten eingefallen und auf ihren Fingern wuchsen Haare. Das Gebiss war voller Lücken und was an Zähnen sich darin befand, von ekelhaftem Gelb. Ihre Augen lagen tief in den umschatteten Höhlen und wirkten stumpf und apathisch, so als stünde sie unter irgendeiner Droge.
    Das Schlimmste aber war der Gestank, der in ihrer Wohnung herrschte, und als ich mich entsetzt umsah, machte ich auch die Quelle des Übelkeit erregenden Geruchs aus. In einer Ecke neben dem Küchentisch war der Vorhang vor einer Nische mit einem Waschbecken fortgezogen und mein Blick fiel ungehindert auf eine Schüssel mit den zerstückelten Resten eines menschlichen Säuglings.
    Die Frau hatte meinen Blick aufgefangen, denn sie eilte mit hastigen Schritten hinüber und zog den Vorhang vor. Der dreckige Stofffetzen verhüllte gnädig, was sich eben noch erschütternd dargeboten hatte.
    Panisch stürzte ich aus der Tür, stolperte die Treppe hinauf und übergab mich in die Gosse. Ich lehnte besudelt und tränenüberströmt an einer der wenigen Gaslaternen, als Mathias mich ansprach.
    »Soll es nach Hause gehen, gnädige Frau? Oder möchten sie über Nacht in Berlin bleiben?«
    Und weil ich nicht fähig war, eine Entscheidung zu treffen, und er wohl in diesem Sturm keine Lust mehr auf die weite Fahrt zurück nach Blankensee hatte, fuhr Mathias mich zum Haus von Utz. Warum dorthin und nicht in die Brüderstraße wusste er anderentags selbst nicht zu sagen. So war es zwar das Unpassendste, was ich tun konnte, aber ich tat es offenbar vom Schicksal gelenkt. Wie in Trance durchschritt ich das hell erleuchtete Foyer des Hauses. Da stand ich dann mitten in einer Gesellschaft von Lebemännern und Lebedamen, die bei meinem Anblick erschreckt auseinanderstob und eine Gasse für mich frei machte, die geradewegs zu meinem Ehemann führte. Der war zwar noch von der Trauer gezeichnet, hatte jedoch allem Anschein nach erfolgreich Trost in seinem alten Lotterleben gefunden, denn er lehnte mit einer drallen Schönheit der Nacht im Arm am Kamin und hatte seine Hand in ihr Mieder versenkt. Es war entwürdigend und tröstlich zugleich, denn es erleichterte ganz erheblich mein Gewissen. So gebrochen, wie ich nach Friedrichs und Vanderborgs Berichten erwartet hatte, schien er mir keineswegs zu sein, weshalb ich auch meine Anwesenheit in Berlin nicht nötig fand. Trost wurde Utz ganz offensichtlich anderswo besser gespendet als bei mir.
    Ich

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