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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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kaiserlichen Truppen. Die Kämpfe dauerten zwei Tage und forderten Tausende von Toten unter den Hereros, aber auch reichlich Blutzoll unter den Deutschen. Die überlebenden Hereros versuchten durch die Dornbuschsavanne zur rettenden Landesgrenze zu fliehen, wurden dabei jedoch abermals zu Tausenden Opfer des angrenzenden Sandfeldes, wo sie qualvoll verdursteten.
    Dennoch gab sich das stolze Volk nicht geschlagen. Von Trotha jedoch brauchte dringend einen Erfolg, weil die Truppe afrikamüde war, was zu sinkender Moral führte, und ihm zudem die deutschen Siedler und Handelskompanien – darunter gewiss auch Utz – im Genick saßen. So erließ von Trotha im Oktober ein Verdikt. Danach hatten alle Hereros umgehend das Land zu verlassen. Außerdem gab er eine Dienstanweisung für eine aktive Vertreibung heraus, nach der keine männlichen Gefangenen mehr gemacht werden sollten. Die Soldaten waren dazu angehalten, über die Köpfe von Weibern und Kindern zu schießen, damit sie in Richtung Landesgrenze wegliefen.
    »Ich selbst habe mit von Trotha gesprochen und ihn darauf hingewiesen, dass den Frauen und Kindern nur der Weg durch die Kalahari, eine tödliche Wüste, bleibt, was zwangsläufig ihren Tod bedeuten würde. Worauf er seinen Schnurrbart zwirbelte, seinen Hut, einen Stetson mit rechtseitig aufgeklappter Krempe, in den Nacken schob, die buschigen Augenbrauen hochzog und ironisch sagte: ›Euer Vater hat mir nicht gesagt, dass er eine Memme aufgezogen hat! Wo gehobelt wird, fallen Späne. Ein paar Negerstämme weniger auf der Welt – wen interessiert es? Denen weint hier niemand nach. Besser, die Wüsteverschlingt sie, als dass wir sie alle eigenhändig abknallen müssen.‹
    ›Aber das ist Völkermord‹, entgegnete ich ihm. ›So rotten wir das Volk der Hereros aus. Mit welchem Recht? Die Völkergemeinschaft wird uns dafür zur Rechenschaft ziehen.‹
    Nun lachte von Trotha: ›Die Völkergemeinschaft wird gar nichts tun, sie ist mir zu Dank verpflichtet, weil ich für sie den Boxeraufstand in China niedergeschlagen habe.‹
    Und mit der Absicht, das für ihn unerquickliche Gespräch zu beenden, sagte er: ›Amadeus, ich spreche jetzt nicht als Ihr Kommandeur, sondern als ein Freund Ihrer Familie, setzen Sie sich an die Spitze Ihrer Einheit und führen Sie meinen Befehl aus, dann werde ich Ihnen persönlich den Verdienstorden an die Brust heften und Ihre Beförderung zum Oberleutnant einleiten.‹
    Seine Jovialität fand ich noch schlimmer als den Kommandoton, und so grüßte ich militärisch und verließ ihn in der festen Absicht, keine einzige Frau und kein einziges Kind durch meine Soldaten in die Wüste treiben zu lassen. Aber ich fand kein Verständnis bei der Truppe, weil alle fürchteten, wegen Befehlsverweigerung vor dem Militärgericht zu landen. ›Lieber ein paar tote Hereros, als dass meine Kinder ohne Vater aufwachsen müssen‹, sagte mir einer meiner tapfersten Männer. ›Wem nützt es, wenn ich standrechtlich erschossen werde? Die Neger werden so oder so ausgerottet.‹«
    Amadeus’ Worte waren leise und stockend, als er von dem Todeszug des Grauens durch das Sandfeld berichtete, bei dem massenhaft Frauen, Kinder und Greise zusammengebrochen oder unter der sengenden Sonne dem Wahnsinn verfallen seien.
    »Aber am schlimmsten war es, die Mütter zu sehen, die ihre toten Kinder in Tüchern auf dem Rücken trugen und gar nicht merkten, dass sie eine kleine Leiche mit sich schleppten. Wie oft habe ich beim Anblick junger, ausgemergelter Frauen an dich gedacht, und dann bin ich hingegangen und habe Wasser aus den Vorräten meiner Einheit an sie verteilt.«
    Ich griff in einer Trost spendenden Geste nach Amadeus’ Hand und ließ sie auch bei seinen nächsten Worten nicht los, obwohl das eigentlich nicht erlaubt war.
    Anscheinend drohte selbst von Trotha allmählich die Lage über den Kopf zu wachsen, denn ein Ende des endlosen Todeszuges an die Landesgrenze sei nicht absehbar gewesen, während die Truppe bald als feige Mörderbande verschrien war. Und weil von Trotha offenbar dachte, dass einem einmal ruinierten Ruf nichts mehr schaden könne, habe er befohlen, jeden Herero innerhalb der deutschen Grenzen zu erschießen.
    »Ich schämte mich für diese Unmenschlichkeit unseres weißen Herrenvolkes«, stöhnte Amadeus in Gedanken an diese Gräuel leise auf, »und warf mich, wo immer es ging, dazwischen, und als ich sah, dass die Soldaten schließlich auch auf Kinder und Frauen schossen, die sich

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