Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Renovierungsarbeiten ausgeführt wurden. Vor allem ließ er eine moderne Zentralheizung und Bäder mit heißem Wasser installieren, was mein Leben sehr viel komfortabler machte.
Aber all das konnte mich nicht über die Sorge um Amadeus hinwegtrösten. Monatelang hatte ich bis auf einen Brief kein Lebenszeichen von ihm erhalten, und auch Friedrichs spärliche Informationen waren mehr allgemeiner Natur und brachten keine Aufklärung über sein Schicksal. Alle Welt war nur an General von Trotha interessiert und die Gazetten berichteten auch nur das, was ihnen die Nachrichtenbüros über den Telegrafen sendeten. Frontverläufe und am liebsten gewonnene Schlachten, wie die am Waterberg im August des Jahres. Die jedoch war nun schon lange her und Amadeus blieb seitdem verschwunden.
Ich hockte auf Blankensee und verzweifelte. Dann bekam ich eine Depesche, dass Friedrich eine Spur gefunden habe, und zwei Tage später kam er selbst, um mir zu berichten, dass Amadeus im Militärgefängnis Spandau einsäße, um auf seinen Militärprozess zu warten.
»Er hat in Afrika mehrmals den Befehl verweigert und Herero-Familien die Flucht über die Landesgrenze ermöglicht. Das ist Hochverrat und es steht darauf im schlimmsten Fall die Todesstrafe.«
Ich brach ohne ein Zeichen der Vorwarnung zusammen, und als ich das Bewusstsein wiedererlangte, setzten die Wehen ein.
Zwei Tage lang dachten wir, dass ich vorzeitig niederkommen würde, aber es war dann doch nur ein Fehlalarm, verursacht durch die Aufregung, und mein Bauch beruhigte sich wieder. Stattdessen erreichte uns die Nachricht, dass Gertrud ganz unverhofft eine Sturzgeburt erlitten habe, Mutter und Sohn dennoch wohlauf seien.
Ich freute mich über ihr Glück, noch mehr freute ich mich jedoch darüber, dass Friedrich es erreicht hatte, dass ich Amadeus in Spandau besuchen durfte.
Zwar war die Fahrt in meinem hochschwangeren Zustand beschwerlich und auch nicht ganz ungefährlich, aber wenn es die vielleicht letzte Chance war, Amadeus noch einmal lebend zu sehen, so war das jedes Risiko wert.
Der Wärter, der bei unserem Gespräch die Aufsicht führte, war ein ehemaliger Kamerad von Friedrich und drückte beide Augen und Ohren zu, damit wir einigermaßen frei sprechen konnten. Amadeus sah erbarmungswürdig aus. Die große Hitze in Afrika hatte ihn ausgezehrt und seine Wangen waren unter den hohen Knochen, die ihm sonst ein so edles Aussehen gegeben hatten, eingefallen. Das Schmerzlichste allerdings war für mich der tote Blick seiner Augen, der mehr als alles andere sagte, dass er keine Hoffnung mehr für sich sah. Auch als er begriff, in welchen Umständen ich mich befand, gab ihm das seinen Mut und sein Vertrauen in die Zukunft nicht zurück.
»Ich wäre so gerne mit dir und unserem Kind glücklich gewesen«, sagte er, »aber sie werden mich zum Tod durch Erschießen verurteilen, Estelle. Das ist die Strafe für Befehlsverweigerung. Es ist schon eine Bevorzugung, dass man es nicht gleich standrechtlich in Afrika gemacht hat, sondern mir die Ehre eines Militärprozesses erweist. Ich denke, es ist ein Tribut von Trothas an die lange Freundschaft unserer Familien.«
Gerade deswegen verstand ich nicht, warum sich Amadeus gegen von Trotha aufgelehnt hatte. War es nicht viel wichtiger, diese Beziehung zu pflegen, als sie wegen ein paar Negern zu gefährden und sein eigenes Leben zu riskieren? Wie ich das so sagte, sah mich Amadeus mit traurigem Blick an.
»Du sprichst wie alle«, meinte er, »dabei hätte ich von dir mehr Verständnis erwartet.«
»Ich würde es ja gerne verstehen«, erwiderte ich leise. »Erklär es mir, was ist geschehen und warum sitzt du jetzt hier und erwartest den Tod?«
Amadeus schaute zu dem Wärter hinüber, doch der hatte sich abgewandt, und so begann er leise zu berichten, was er in Afrika erlebt hatte.
Der Kaiser hatte, nachdem die Übergriffe der Hereros durch die in Afrika befindliche Schutztruppe nicht hinreichend eingedämmt werden konnten, ein Marineexpeditionskorps von fünfzehntausend Soldaten nach Afrika geschickt, das aber ebenso erfolglos agierte. Erst als Amadeus mit Generalleutnant Lothar von Trotha im Sommer nach Afrika kam und dieser das Kommando über die Militäraktion übernahm, zeichnete sich eine Wende ab. Am Waterberg, einem kargen Hochplateau aus Sandstein, das von dürrem Buschland umgeben war, kam es im August desJahres 1904 zu einem ersten schlachtähnlichen Zusammentreffen zwischen den aufständischen Hereros und den
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