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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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die Erde kommt, fault sie ihm bei diesen Temperaturen unter den Augen weg. Sein Verhalten gleicht dem eines Verrückten, auf jeden Fall ist es widernatürlich, sich so in seinem Schmerz einzurichten!«
    Offenbar nur weil ihn die Behörden gezwungen hatten, gab Utz die Leiche dann doch frei und Madame Chantal wurde auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt.
    Vanderborg und Friedrich gingen an meiner statt zur Beerdigung und berichteten von einem Pomp, der in Berlin seinesgleichen gesucht hätte und hart an der Grenze zur Geschmacklosigkeit rührte, besonders als der konfessionslose Trauerredner die Meriten der Dame verlas.
    »Du wärst dort völlig fehl am Platze gewesen«, meinten beide in seltener Einigkeit und waren der Ansicht, dass Utz meine Anwesenheit auch nicht erwartet habe, ja vermutlich hatte er in seinem Schmerz um den Verlust seiner Geliebten nicht einmal einen einzigen Gedanken an seine Ehefrau im fernen Blankensee verschwendet.
    »Der Radke hat Utz auf der einen Seite gestützt, einFreudenmädchen aus dem Bordell von Madame Chantal auf der anderen, denn er war nicht in der Lage, alleine zu gehen, so besoffen ist er gewesen«, fuhr Friedrich fort.
    Was mich bei all dem Champagner nicht wunderte.
    »Als er die Erde auf den Sarg warf, wäre er fast mit in die Grube gestürzt.«
    Das wäre mir nur recht gewesen, dachte ich respektlos.
    Auch Vanderborg war die Szene in schlechter Erinnerung geblieben und mit leicht angewidertem Ausdruck im Gesicht meinte er: »Der Mann war nicht bei Sinnen und gewiss krank, denn als ich ihm zur Beileidsbekundung am Grab die Hand reichte, war die seine schwammig und voll von kaltem Schweiß.«
    »Es tut mir wirklich leid, dass er so leiden muss«, sagte ich leise und meinte es in diesem Moment wohl auch tatsächlich so. Aber gleich darauf beschlich mich die Furcht, dass Utz nun, wo seine Konkubine unter der Erde war, sich meiner erinnern und wohlmöglich sogar ein neues Interesse an mir entwickeln könnte, und so fragte ich, von dem Gedanken verstört: »Glaubst du, Friedrich, dass Utz mich nach Berlin zurückholen will?«
    Friedrich sah mich besorgt an. »Das wäre dir wohl nicht recht, Schwesterlein, nicht wahr?«
    »Nein, das wäre es wirklich nicht«, und über meinen schwangeren Bauch streichend sagte ich: »Es ist so viel ruhiger hier und ich habe es mir und dem Kind mit euer aller Hilfe doch so angenehm hier gemacht.«
    Ich sah Friedrich fragend an. »Hast du Nachricht von Amadeus? Ein einziger Brief hat mich dieser Tage erreicht und darin schreibt er, dass kein Ende der Scharmützel abzusehen ist …« Ich seufzte traurig.
    »Ich brauche ihn doch so sehr.«
    Friedrich setze sich zu mir auf die Chaiselongue und legte seinen Arm in brüderlich zärtlicher Geste um mich.
    »Das Kriegsglück wendet sich sehr schnell und die Post braucht lange. Vielleicht hat von Trotha längst gesiegt und die Neger das Fürchten gelehrt. Amadeus ist gewiss rascher wieder hier, als wir es uns träumen lassen. Jedenfalls wird er alles daransetzen, rechtzeitig zur Geburt seines Kindes wieder in Berlin zu sein.«
    Weil ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg, und peinlich berührt schwieg, fragte Friedrich etwas irritiert: »Er weiß es doch, dass du in Umständen bist?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nein, ich war mir ja noch nicht wirklich sicher und dann … ich wollte ihm den Abschied nicht noch schwerer machen und seine Sorge nicht verdoppeln …«
    Friedrich lachte. »Was für eine Weiberdummheit! Aber egal, so wird es freilich eine feine Überraschung sein.«
    Das würde es gewiss, wenn ich das Kind wirklich austrug. Doch dazu fehlte mir mehr denn je der Mut. Und als ich ein paar Wochen später auch noch von Utz eine Depesche bekam, dass er tatsächlich meine umgehende Rückkehr in sein Haus wünschte, da sah ich keine Hoffnung mehr für mich und Amadeus. Utz würde mich wie eine Sklavin halten und gewiss Tag und Nacht überwachen lassen, und selbst wenn ich ein solches Los noch ertragen könnte, so wäre es doch verwerflich, ein Kind, dessen Vater möglicherweise Amadeus war, solchen Verhältnissen auszusetzen und einem unkontrollierten und gewalttätigen Menschen wie Utz die Macht über dieses zarte Wesen zu geben.

    Nach mehreren qualvollen Nächten, in denen ich mir Herz und Hirn fast zerrissen hatte, kam ich zu einemverzweifelten Entschluss. Da weder Utz noch Amadeus bisher von meiner Schwangerschaft wussten, konnte auch noch keiner von ihnen einen Anspruch auf

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