Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
war, dann hatte ich auch noch selber zur Weiterverbreitung seines verfluchten Geschlechts auf dieser Erde beigetragen.
Diese Erkenntnis wollte mir schier den Verstand rauben und ich bereute nun, trotz aller Liebe für meine Tochter, so fluchtartig die Wohnung der Engelmacherin verlassen zu haben. Kein zerstückelter Säugling konnte derart grausam und ekelerregend sein wie die Scham, die mich befiel angesichts der Erniedrigung, die das Schicksal mir in seinem boshaften Ränkespiel erneut durch einen Przytulek zufügte.
Es gibt keinen Gott, dachte ich, jedenfalls keinen, der weise unsere Schritte lenkt. Unser Geschick liegt in den Händen einer dunklen Macht, die an unserem Weg Galgenaufstellt, an denen sie das Glück, die Liebe und die Hoffnung erhängt, und nur der faulige Geruch ihrer Verwesung bleibt uns, um uns mit der Erkenntnis zu verhöhnen, dass all unser Streben sinnlos ist.
In mir erstarb jedes Gefühl, und angesichts der dumpfen Schwere einer ungewissen Zukunft unter dem Stern der Bitternis war mein Herz arm, zerrissen und leer.
Obwohl Amadeus und Käthe und Gretchen sich liebevoll um mich kümmerten, kam ich nicht wieder auf die Beine. Und auch die Nachricht, dass Utz sein Haus in Berlin geschlossen hatte und mit Radke offenbar erneut nach Afrika aufgebrochen war, heiterte mich kaum auf.
Zwar schien die unmittelbare Bedrohung durch ihn zunächst gebannt, aber ich war mir sicher, dass er irgendwann, wenn seine Verwandlung zum Vampir abgeschlossen war, zurückkehren und mich und meine Familie seine Rache dann mit aller Brutalität treffen würde.
So vegetierte ich weiter in der Dunkelheit meines Zimmers dahin und nichts und niemand konnte mich aufheitern.
Meine Seele war zernichtet und mein Körper durch die erbarmungslose Folter von Utz und Radke zerrüttet. Der schwarze Staub des Kohlenkellers hatte sich auf meine Lunge gelegt und jeder rasselnde Atemzug fiel mir schwer. Die lange Zeit ohne Nahrung hatte mich tödlich geschwächt und ich war zermürbt, und jeden Morgen lockte mich der Sonnenaufgang, hinauszugehen und meinem Dasein ein Ende zu machen.
Aber immer wenn ich Amanda und Amadeus zusammen sah, erschien es mir unmöglich.
Und der Gehässigkeit des Schicksals trotzend erhaschteich bei ihrem Anblick stets aufs Neue ein kleines Stückchen Glück, denn die beiden pflegten einen Umgang miteinander, der so liebevoll und vertraut war, wie er nur zwischen Vater und Tochter sein konnte.
Doch auch die Hoffnungen, die ich in Amanda und Amadeus gesetzt hatte, zerplatzten sehr bald wie eine Seifenblase, und der Traum, mit meiner kleinen Familie auf Gut Blankensee ein beschauliches pastorales Leben führen zu können, war nichts als eine trügerische Illusion, ein Truggebilde des Schicksals, raffiniert konstruiert wie die Illusionsmaschinen von Vanderborg und von gleicher die bittere Wirklichkeit vernebelnder Wirkung.
Die ungewisse Zukunft verfinsterte sich nämlich noch mehr, als mir Amadeus, kurze Zeit nachdem Utz verschwunden war, mitteilte, Russland habe mobilgemacht und sei bereits dabei, die Grenzen nach Österreich zu überschreiten. Er erwartete jeden Tag auch die deutsche Mobilmachung, was nichts anderes hieß, als dass sowohl er als auch Friedrich an die Front mussten.
Meine Angst war grenzenlos. Ohne den Schutz von Friedrich und Amadeus und nur mit dem Beistand von Käthe, Gretchen und meinem treuen Mathias, der sich von der schweren Schussverletzung, die ihm Utz zugefügt hatte, noch immer nicht erholt hatte, war ich jedem seiner Angriffe wehrlos ausgeliefert, wenn er mit Radke aus Afrika zurückkehren sollte, während die beiden noch im Feld waren.
Und obwohl mir Amadeus bei seinem Abschied alle Liebe und Zärtlichkeit gab, deren er unter den angespannten Umständen fähig war, grauste mir.
»Du darfst nicht gehen, bitte, verlass mich nicht!«, flehte ich, als er sich von unserem Lager erhob. Ich klammertemich an ihn und zog ihn zurück in die Laken und wie eine Wahnsinnige trieb ich ihn in eine weitere zutiefst verzweifelte Vereinigung. »Du bist das Beste, was mir je gegeben wurde, sie dürfen dich mir nicht nehmen, nicht das Militär, nicht der Kaiser! Es ist ihr Krieg, sollen sie ihn selber ausfechten, keine Frau und Mutter darf gezwungen werden, ihren Mann oder Sohn in einen Fürstenkrieg zu schicken!
Du kennst doch die Manifeste! Bleib hier, verweigere dich, um deines Kindes willen und für mich!«
Doch Amadeus wand sich nun sanft aus meinen Armen und kleidete sich an.
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