Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
konnte, warf sich Radke auf ihn und zerrte ihn von Utz fort. Der geriet bei dieser Attacke ins Wanken, hielt mich aber nochimmer mit seinem Eisengriff umklammert. So gingen wir beide zu Boden und fielen in eines meiner Rosenbeete, wobei mir zahlreiche Dornen das Gesicht zerkratzten und die Lippen aufrissen. Utz schoss das Blut aus der Wunde am Hals und weil er sich wohl erst jetzt des Schmerzes wirklich bewusst wurde, schrie er auf wie ein verendendes Tier und lockerte, als wir im Kies des Beetes lagen, seine Umklammerung, um sich mit einer unwillkürlichen Bewegung an den Hals zu fassen. Ich versuchte die Chance zu nutzen, um ihm zu entkommen, aber er packte sogleich wieder zu und zerrte mich mit der blutverschmierten Hand zurück. Und obwohl ihm bewusst sein musste, dass er dem Tod geweiht war, wollte er noch einmal triebhaft seine Macht über mich ausüben, riss mich mit nahezu unmenschlicher Kraftanstrengung an sich und versuchte mich mit einem letzten aufgezwungenen Kuss vor den Augen von Amadeus zu erniedrigen.
Sein widerlicher Atem schlug mir entgegen, als er seine fleischigen Lippen auf die meinen presste, doch nicht nur deswegen überkamen mich Ekel und Übelkeit. Kaum hatte er nämlich meine blutigen Lippen berührt, begann er sich an ihnen wie ein Krake festzusaugen und sich mit gierig leckender Zunge mein Blut einzuverleiben. Ich versuchte mich zu wehren, wand mich in seinen Armen, warf den Kopf hin und her, aber er hielt ihn mit seinen Pranken fest wie in einem Schraubstock und ich musste mein Blut geben, um ihm das ewige Leben zu ermöglichen. Was von meinem verhassten Gatten als demütigender Todeskuss gedacht war, brachte ihm nun die Unsterblichkeit.
So war das Schicksal erneut gnadenlos und ich fühlte mich zurückversetzt in die Folterkammer des Ladislav von Przytulek,als man mir den Kopf mit eisernen Bändern f ixierte, um gallige Jauche in meinen Mund zu gießen, bis ich fast daran erstickte …
Und weil mir im Gegensatz zu Utz sofort bewusst wurde, was geschehen würde, versuchte ich noch einmal, ihn mit einem gurgelnden Schrei des Entsetzens von mir zu stoßen, aber meine Kraft reichte nicht und mein Aufbäumen kam zu spät. Er verfiel in stöhnende Zuckungen, in die er mich, sich immer noch an mich klammernd, mit hineinriss, was ein konvulsivisches Auf und Ab unserer Leiber erzeugte und mir brennende Qualen bereitete, gerade so, als ritte der Teufel selbst auf mir eine triebhafte Attacke durch das Höllenfeuer. Dann schrie er mehrmals qualvoll auf, und ich spürte, wie sein unangenehm weiches Fleisch plötzlich hart wurde und eine stählerne Kraft in seine Muskeln schoss, mit der er mich abrupt von sich schleuderte, aufsprang, dem Radke gegen Amadeus zu Hilfe eilte und mit ihm in sein Automobil entfloh. Kein Zweifel, unser blutiger Kuss hatte genügt, um ihn zum Vampir zu machen. Noch verfügte er allerdings genauso wenig wie Amadeus über alle vampirischen Kräfte und Eigenschaften, was er wohl instinktiv ahnte, und so suchte er für diesmal noch sein Heil in der Flucht. Doch war ich mir sicher, dass er erstarkt wiederkehren würde, um Amadeus und mich zu vernichten.
Zitternd und schluchzend sank ich Amadeus in die Arme, doch als Utz an uns vorüberfuhr, hörte ich ihn durch das Aufjaulen des Motors drohend zu mir herüberbrüllen: »Du glaubst gewonnen zu haben und wähnst dich sicher! Aber wisse, Eleonore, ich werde nicht ruhen, bis ich nicht nur Chantal, sondern auch meine Ahnen an dir gerächt habe, denn auch ich bin ein Przytulek!«
Mir dröhnte sein höhnischen Lachen in den Ohren wie ein donnernder Wasserfall und ich versteinerte schlagartig in Amadeus’ Armen, als ich begriff, warum Utz mir von Anfang an so zuwider gewesen war. Auch erklärte sich mir das unterschwellig Gewaltsame und Unberechenbare seines Wesens, dem ich stets mit unerklärlicher Abneigung begegnet war.
Dennoch konnte ich nur schwer glauben, was ich gehört hatte, denn es bedeutete nichts weniger, als dass nicht der von mir im Jahre 1898 am Fuße der Burg von Zuflucht getötete junge Mann der letzte Nachfahre meines Mörders Ladislav von Przytulek war, sondern … Karolus Utz, mein eigener, verhasster Ehemann.
Damit schien mir mein ganzes Dasein vollkommen umsonst gewesen zu sein, denn es war mir nicht gelungen, meinen Fluch zu erfüllen und die männliche Linie der Grafen von Przytulek auszulöschen. Und wenn die Bosheit des Schicksals so weit gehen sollte, dass er sogar der Vater meiner Leibesfrucht Amanda
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