Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Tilly angefleht haben sollten, dem grausamen Morden und Plündern unter den Bewohnern Magdeburgs ein Ende zu setzen, doch der hätte nur lachend geantwortet, dass wohl kaum jemand die Soldaten zurückpfeifen könnte, wenn sie ihr gutes Recht auf Plünderung und Brandschatzung wahrnähmen.
»Der Soldat muss etwas haben für seine Gefahr und Mühsal«, hätte er gesagt und dass es besser wäre, auf diese Art denFeind den Sold zahlen zu lassen, als damit die eigene Schatulle zu belasten.
So lernte ich, dass der Krieg den Krieg ernährt.
Am Abend des vierten Tages war die Schlacht entschieden und kein Schrei drang mehr aus der weithin lodernden Stadt.
Zoltán Radoczki stolperte rußgeschwärzt in unser Lager, griff nach mir und zog mich wortlos mit sich fort in sein Zelt.
Er warf Rüstung, Wams, Helm und Waffen von sich und vergrub seinen Kopf unter den Röcken in meinem Schoß, so als wollte er mit dem Geruch meines Körpers den Leichengestank übertönen, der ihm wie eine zweite Haut anhaftete.
Auf dem langen Marsch hierher war er nie zudringlich geworden, was mich sehr verwundert hatte. Nun kam es mir vor, als hätte er mich unbewusst aufgespart für eben diesen Augenblick. Als hätte er geahnt, dass er ohne die Liebe eines an all diesem Grauen unschuldigen Weibes verzweifelt wäre.
Er liebte nicht zärtlich, wie man es sich als Jungfrau wünschen würde, sondern gewalttätig und verlangte, dass ich ihm – wie zur Buße – Schmerzen zufügte. Wir kratzten und bissen und leckten und schlugen uns und durchdrangen uns, wo immer es möglich war, bis zwischen uns eine Glut loderte, die so tödlich wurde, wie das die Stadt verschlingende Feuer, dessen Widerschein an den Zeltwänden flackerte.
Ich biss ihn auf dem Höhepunkt seiner verzweifelten Lust, in der Gewissheit, dass er nach dem, was er getan und gesehen hatte, ohnehin nicht mehr bei klarem Verstand würde weiterleben können.
Den Geschmack seines warmen Blutes auf den Lippen stürzte ich mich in die Kleider und floh, noch bevor die Morgendämmerung hereinbrach, diesen grauenvollen Ort, an dem bald nichts mehr sein würde außer Magdeburgs Asche.
L iebste, Estelle, Schwesterlein, wach auf !«
Es war Friedrichs Stimme, die mich aus meinem Albtraum riss. Friedrich, den Vanderborg nach Hause geholt hatte, weil ich mich drei Tage nicht aus meinem Zimmer bewegt hatte und nur Weinen und Stöhnen nach draußen gedrungen war.
Friedrich sollte mich aus meiner Melancholie erlösen und mich zurück ins Leben holen. Dafür verzieh ihm Vanderborg alles, was er ihm zuvor unversöhnlich zur Last gelegt hatte.
Ich umschlang Friedrich, der sich auf meine Bettkante gesetzt hatte, mit meinen bleichen, nackten Armen, wie eine Ertrinkende ihren Retter in stürmischer See, und fasste seine Anwesenheit nicht.
»Dass du da bist!«, stammelte ich ein ums andere Mal ungläubig und verwirrt.
Vanderborg hatte sich in der Tat nicht mehr zu helfen gewusst und Friedrich aus der Garnison nach Hause gebeten, weil er um mein Leben, aber mehr doch um meinen Verstand fürchtete. Nach dem, was er und Hansmann zwischen Friedrich und mir vermutet hatten, eine wirklich großherzige Tat, die ihn gewiss viel Überwindung gekostet hatte.
Friedrich zurück an meiner Seite zu wissen, auch wenn es nur für wenige Stunden war, wirkte wie ein Jungbrunnen auf mein Gemüt. Leib und Seele erfrischten sich augenblicklich, als Friedrich mir von seinem Leben in der Garnison zu erzählen begann, dessen Kameradschaftlichkeit für ihn eine gänzlich neue und positive Erfahrung war, die ihn zwar nicht restlos glücklich, aber doch so zufrieden mit seiner Entscheidung machte, dass er nun eine Militärlaufbahn anstrebte.
Nachdem er zuvor im Künstlertum als Bohemien seine Berufung gesehen hatte, eine ganz erstaunliche Wandlung, die wohl in der Hauptsache mit einem adeligen Leutnant zusammenhing, dessen Wohlwollen er aus irgendeinem Grunde erlangt hatte und der ihn protegierte.
Wie immer war Friedrich auch diesmal schnell entflammt, schwärmte mir von dem Leutnant vor, den ich ja unbedingt auf einem der nächsten Bälle persönlich kennenlernen müsste, und stellte das Kriegshandwerk als den einzig erstrebenswerten Beruf dar. Ihm darin zu folgen, fiel mir schwer.
»Eine Friedenstruppe«, erwiderte er auf meinen skeptischen Einwand hin. »Unser Heer ist eine reine Friedenstruppe. Nur das militärische Gleichgewicht wird auf Dauer den Frieden in Europa sichern.«
»Das klingt vernünftig, Friedrich«,
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