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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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mich, stoße mich hinab, mach du ein Ende.«
    Ich ergriff nun doch seinen Arm und flehte ihn an, mich nicht zu verlassen. Und weil ich glaubhaft machte, ohne seinen Schutz verloren zu sein, schaffte ich es, dass er über das Geländer zu mir zurückstieg. Wir gingen schweigend hinunter zu einer Bank am Fluss, in den ich mit einer verzweifelten Geste die Pistole warf.
    Stumm saßen wir in gebührendem Abstand nebeneinander, zwei verstörte Wesen, von denen keines das andere berühren wollte, aus Angst, dass erneut die Leidenschaft über den Verstand siegen würde.
    Später dann sprachen wir lange miteinander, fast die ganze Nacht, und erst als die Morgendämmerung sich ankündigte, eilten wir zurück in die Brüderstraße.
    Wenige Tage darauf verkündete Friedrich an der Abendtafel zur Freude von Vanderborg und Hansmann seinen Entschluss, zum Militär zu gehen, und nach einer weiteren Woche rückte er in die Garnison ein.
    In der Nacht vor seinem Abschied besuchte er mich noch einmal in meinem Zimmer. Er berührte mich nicht, doch er schwor mir seine ewige brüderliche Liebe.
    »Ich werde immer für dich da sein, wenn du mich brauchst, und dich immer beschützen, Estelle«, sagte er mit feuchten Augen, »aber ich kann nicht hierbleiben, denn dein täglicher Anblick würde mir tödliche Qual bedeuten.«
    So schied Friedrich von mir mit einem verwundeten Herzen und ich ließ ihn gehen. Noch in derselben Nacht wanderte ich rastlos hinunter zur Spree. Ich starrte ins Wasser, wo die Pistole versunken war, und hüllte mich erneut wie in den Jahrhunderten zuvor in meine Einsamkeit.
    In verzweifelter Selbstanklage weinte ich stumme Tränen, weil meine Liebe zu Friedrich nicht stark und rein und genug war, um meinem Begehren zu widerstehen. Einem Begehren, das tief und voller Leidenschaft war und geprägt von der vampirischen Gier … nach seinem Blut.

Teil Zwei
Verbrechen
    … aber die Liebe zwingt all uns nieder …

F riedrich war fort, und im Schmerz über diesen Verlust vergrub ich mich tagelang wie ein weidwundes Tier in meinem verdunkelten Zimmer.
    Niemanden ließ ich an mich heran, und als Vanderborg sich einmal gewaltsam Zugang verschaffte, aus Angst, dass ich dem Wahnsinn anheimfallen könnte, warf ich ihn unter schlimmen Beschimpfungen hinaus.
    Das Ergebnis war, dass er sich Hansmann zur Verstärkung holte und beide, sich gegenseitig unterstützend, verlangten, ich möge meinen Pflichten als Tochter des Hauses umgehend nachkommen, um nicht Anlass zu peinlichen Gerüchten zu geben.
    »Du trauerst wie eine sitzen gelassene Braut hinter Friedrich her«, sagte Hansmann wenig taktvoll, »das geziemt sich nicht. Du tust, als hätte man ihn ermordet, dabei ist er nur wie viele rechtschaffene junge Männer zum Militär gegangen, um dort Zucht und Anstand und die Wehrhaftigkeit zum Nutzen des Vaterlandes zu erlernen.«
    »Das braucht es nicht bei Friedrich«, erwiderte ich aufsässig. »Er hat eine hohe Moral. Und einen Krieg wird es auch nicht mehr geben, für den seine Wehrfähigkeit nötig wäre. Europa ist ein Land friedlicher Völker geworden.«
    Das allerdings sah Hansmann anders und auch Vanderborg ließ keine Ausreden mehr gelten.
    »Ich gestatte dir, dich noch einige Tage in der Abgeschiedenheit deines Zimmers zu sammeln«, sagte er in ernstem Ton. »Dann erwarte ich, dass du wieder am gesellschaftlichen Leben teilnimmst. Ich habe Pläne mit dir, mein Kind, die zu deinem eigenen Wohle sind.«
    Er sah mich mit einem strengen väterlichen Blick an, der recht aufgesetzt wirkte und seine tatsächlich vorhandene Zuneigung für mich nicht verbergen konnte.
    »Ist es also abgemacht?«
    Was blieb mir anderes übrig, als zu nicken und schnellstens wieder in mein Zimmer zu fliehen. Ich wollte ihm schließlich als Estelle eine gute Tochter sein und ihn nicht enttäuschen. Aber was zwischen Friedrich und mir geschehen war, ging mir weiterhin nach, denn noch nie war mir ein Mann begegnet, der mir so ohne jeden Eigennutz nicht nur seine Liebe geschenkt, sondern auch sein Leben geweiht hatte. Ich brauchte Friedrich in dieser Welt, wie ich keinen zweiten gebraucht hatte. Doch weder Vanderborg noch Hansmann würden das mit ihrer engen bürgerlichen Moral je verstehen.
    Also warf ich mich auf mein Bett, schloss die Augen und versank auf der Flucht vor dem Schmerz meiner Gegenwart in den schmerzlichen Erinnerungen meiner vierhundertjährigen Vergangenheit.

    Ich war, nachdem ich meine Rache an Ladislav von Przytulek vollzogen hatte,

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