Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
sagte ich, weil ich ihm seine jugendliche Begeisterung einfach nicht nehmen konnte. Doch zugleich fürchtete ich, dass da, wo Truppen und Waffen waren, auch irgendwann Krieg geführt werden würde, und es schmerzte mich, zu sehen, wie naiv Friedrich den Leutnants und Generälen auf den Leim kroch.
Hätte er auch nur eine der Schlachten erlebt, in die ich in meiner dunklen Vergangenheit geraten war, er wäre von seiner euphemistischen Sicht auf das Militär sehr schnell geheilt gewesen.
Wohl war mir also nicht, ihn unter den Soldaten zu wissen, aber auch ich hoffte natürlich, dass die Idee des Völkerfriedens in Europa sich durchsetzen und niemals mehr menschliches Blut seine Äcker tränken würde.
»… das heißt, du bist zufrieden nun?«, fragte ich, um sogleich die mir einzig wichtige Frage anzuschließen, »… und hast mir auch verziehen …?«
Er lachte und war fast wieder ganz der alte Friedrich, der den Schalk faustdick hinter den Ohren hatte und mit dem ich durch Berlins zwielichtige Spelunken und Tingeltangeltheater gezogen war.
»Nein, Liebste«, sagte er, »das habe ich nicht …«
Doch ehe ich darüber in Trübsal versinken konnte, fügte er hinzu: »… denn es gibt nichts zu verzeihen. Du hast alles richtig gemacht, Schwesterlein …« Er lächelte mit einem kleinen begehrlichen Flackern in den Augen. »… wenn man von Paris einmal absieht …«
Ich zuckte beschämt zusammen, und weil ihm das nicht entgangen war, ergriff er meine Hand und sagte ernsthaft: »Estelle, du und ich, wir werden immer zusammengehören, wir sind zwei Zweige aus demselben Stamm und niemand und nichts wird uns je trennen können. Und weil das so ist, Estelle, wird keiner von uns dem anderen je wehtun, ohne dass der nicht wüsste, dass dieser Schmerz allein aus Liebe zugefügt wurde.«
»So verstehst du also nun«, sagte ich erleichtert, »unsere Trennung musste sein. Ich habe dich nicht zurückgewiesen, um dich zu quälen.«
Er nickte.
»Ich weiß, Estelle, doch wie ist es bei dir? Der Vater sagt, du leidest und vergräbst dich hier vor der Welt, seit ich das Haus verlassen habe.«
Ich sterbe jeden Tag ein Stück, weil du nicht mehr bei mir bist, hätte ich gerne gebeichtet, doch das wäre egoistisch gewesen, und so sagte ich, um ihm kein schlechtes Gewissen zu machen: »Es ist die Jahreszeit, da wendet sich der Mensch nach innen …«
Aber er schnitt mir das Wort ab.
»Du doch nicht, Estelle! Versprich mir, dass du dich demLeben wieder öffnest. Ich erwarte wirklich nicht, dass du wie eine verlassene Braut um mich trauerst und dich hier vergräbst.«
Vielleicht waren es diese Worte, die haargenau denen von Hansmann glichen und mir schlagartig bewusst machten, dass Friedrich sich wirklich von mir separiert hatte. Das schmerzte meine Eitelkeit ein wenig, aber so wie es ihn beruhigt hatte, beruhigte es bald auch mich und Estelles moralisches Empfinden sowieso. Friedrich würde mir als liebender Bruder sehr viel wertvoller sein denn als geächteter Liebhaber.
Als hätte er meine Gedanken erraten, nahm er mein Gesicht in seine Hände und sah mir mit liebevollem Blick in die Augen. »Es ist alles gut, Estelle. Versprich mir, dass du mir schon jetzt für den nächsten Ball einen Tanz reservierst.«
Er küsste leicht meine Wange und fügte scherzhaft hinzu: »Komm, versprich es, schönes Schwesterlein, muss auch jetzt noch nicht gestorben sein!«
Ich schloss die Augen, lächelte wie immer über diesen leicht makaberen Spruch und summte als Antwort darauf: »Brüderlein, komm tanz mit mir, beide Hände reich ich dir …«
D er Schmerz um Friedrich hatte an meinen Kräften gezehrt. Ich fühlte mich schwach und es dürstete mich nach neuer Lebensenergie, um mein ihm gegebenes Versprechen einzulösen und mich wieder in das gesellschaftliche Leben Berlins stürzen zu können.
So kleidete ich mich eines Abends, als Vanderborg und Hansmann nicht im Hause waren, in meinen dunklenKapuzenumhang und bestellte mir eine Mietkutsche, um mich hinaus nach Rixdorf fahren zu lassen. Dort, wo das gemeine Volk in der Hasenheide Zerstreuung fand, wollte auch ich Ablenkung und neue Kraft finden.
Es war kühl und neblig, und so zog ich die Kapuze über den Kopf, wodurch der größte Teil meines Gesichts verhüllt war.
Ich ging in eine der Spelunken, in der Estelle einmal mit dem Großen Pilati und Vanderborg gewesen war, als der seine Vampirfangmaschine hier öffentlich erprobt hatte.
Der Tisch, den ich wählte, lag in einer etwas
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