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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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abgelegenen Nische. Dort blieb ich dennoch nicht lange allein.
    Drei Studenten fragten alsbald, ob sie sich zu mir setzen dürften, und da alle drei aus ordentlichem Hause zu sein schienen und zunächst jedenfalls mit gutem Benehmen glänzten, gewährte ich ihnen diese Gunst.
    Freilich nicht ohne Hintergedanken.
    Sie hatten wohl in einem anderen Lokal schon reichlich dem Bier zugesprochen, denn sie überboten sich, kaum dass sie saßen, gegenseitig darin, mir Komplimente von recht schlüpfriger Art zu machen und sich den Kopf darüber zu zerbrechen, warum eine schöne Frau wie ich so alleine hier sitzen würde. Ich band ihnen einen ordentlichen Bären auf, erzählte, dass ich eine Schauspielerin sei und für meine nächste Rolle, ein Weib aus dem Volke, das Milieu studieren müsse.
    »Ei, das studieren wir auch«, meinte der eine, ein langer Blonder, keck und band sein Halstuch neu, das er verwegen in seinem offenen Kragen trug.
    »Nicht wahr, Kommilitonen, das ist ein Hauptfach in unserem Studium generale!«
    Worauf der Zweite unter dem Gelächter des Drittenhinzufügte: »Wie auch die Wirtschaftswissenschaft, in praxi ibidem – hey, Wirt, noch einmal drei Bier, nein vier, das Fräulein hier trinkt sicher mit!«
    Sie waren alle drei recht stattlich und in ähnlichem Alter wie Friedrich, und da sie die Neugierde der Jugend in sich trugen, war es nicht schwer, einen von ihnen, der mir besonders gut gefiel, vor die Tür zu locken. Natürlich machte er sich Hoffnung auf ein flottes Vergnügen, denn Schauspielerinnen, die das Milieu studierten, galten nicht eben als Moralapostel und Studenten nicht als Kostverächter. Ich zog ihn also bald wie eine Marionette am langen Faden hinter mir her zu einem stillen Ort, wo er meine Kapuze zurückschob und mein Gesicht mit Küssen bedeckte, während seine Hand bereits unter meinen Rock griff. Ein wenig tat es mir nun leid um ihn, doch kann ich nicht behaupten, dass sein nach Bier stinkender Atem moralische Skrupel bei mir hätte aufkommen lassen, als ich mich ohne Zögern an ihm sättigte.
    Ich hatte nur einen Gedanken und ein Ziel: zu leben, und zwar in Jugend und Schönheit, um auf dem nächsten Ball mit Friedrich wie versprochen zu tanzen.
    Den Kutscher fand ich noch wartend vor, so wischte ich mir mit einem Tüchlein den Mund und gab ihm Anweisung, mich zurück nach Berlin zu fahren.
    Als ich in den dichten Nebel hinaussah, erschien plötzlich das Gesicht des Studenten vor mir und an seinem bleichen Hals trug er mein Blutmal. Nicht einmal seinen Namen hatte ich mir gemerkt und dafür schämte ich mich.
    Am nächsten Abend brachte Vanderborg eine illustrierte Zeitung mit, auf deren Titelseite mir das Gesicht des Studenten auf einem Foto noch einmal begegnete, wasmir mit Schrecken den Leichtsinn des Vorabends bewusst machte.
    Die Schlagzeile verschreckte mich noch mehr.
    Unbekannte Frauensperson tötet Student in Rixdorf, stand dort und mich fröstelte, als ich entdeckte, dass der Verfasser des Artikels niemand anderer als jener Ludolf Radke war, der mich in Paris bei einem meiner Opfer überrascht hatte.
    In Kenntnis dessen hatte er natürlich nicht nur die beiden Kommilitonen des toten Studenten befragt, sondern auch Parallelen zu ähnlichen Fällen in Berlin und Paris gezogen, wobei er, mit Fotos belegt, die merkwürdigen Halsverletzungen aller Opfer ansprach und, wirklich nicht dumm, mit Vampirismus in Verbindung brachte.
    Halb Berlin brach darüber in den nächsten Tagen in Panik aus, was zumindest den einen Vorteil hatte, dass meine eigene nicht ganz so deutlich auffiel. Aber ich war in der Tat aufs Äußerste bestürzt und fürchtete, dass die anderen beiden Studenten mich sofort wiedererkennen würden, sollten sie mir jemals ein weiteres Mal begegnen. Auch der Kutscher würde sich meiner zweifellos erinnern, wenn der Reporter oder gar die Polizei ihn befragte. Und weil ich so töricht und sorglos gewesen war, mich von ein und demselben Mann nach Rixdorf hinaus- und wieder zurückfahren zu lassen, konnte er jeden, der es wollte und ihn vielleicht sogar dafür bezahlte, zu Vanderborgs Wohnung führen. Ich hoffte nur, dass er die Zeitung nicht las und sich auf keinen Fall als Zeuge zur Verfügung stellte.
    Zwar hatte er nur meinen Kapuzenmantel und nicht mein Gesicht gesehen, aber auch der war verräterisch. So steckte ich ihn in eine große Tüte und versenkte ihn in der Nacht, beschwert mit Steinen, in der Spree.
    Es war mir leid um das gute Stück, denn Estelle

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