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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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Mädchen träumte, weil sie ihm die Sicherheit eines bequemen und sorglosen Lebens versprach.
    Nun war Karolus Utz kein gänzlich unattraktiver Mann, wenn man blonde Haare, helle, buschige Augenbrauen und graue Augen mochte. Er hatte auch Lebensart. Vielleicht war sein Auftreten mitunter etwas laut und übertrieben selbstbewusst, aber im Großen und Ganzen machte er durchaus den Eindruck eines wohlhabenden underfolgreichen Geschäftsmannes, der ein Weib ernähren konnte. Vermutlich durch seine Geschäfte in den Kolonien wirkte er zudem sehr viel weltläufiger als die meisten Menschen im kaiserlichen Berlin. Jedenfalls war das Essen mit ihm alles andere als eine langweilige Veranstaltung, denn von seinen Reisen in Afrika wusste er sehr viel Absonderliches und Abenteuerliches zu berichten.
    Hansmann war sofort von ihm angetan und über seinen Kolonialwarenhandel kamen die beiden recht rasch ins Fachsimpeln über den Wert von Kolonien für die Versorgung des Reiches mit Rohstoffen und exotischen Produkten.
    Vanderborgs Blick ruhte wohlgefällig auf seinem ältesten Sohn, und als er nach dem Dessert Zigarren herumreichte und mich bat den Kaffee einzuschenken, empfahl er mich dem Utz an, als wäre ich eine alte Jungfer, die es galt, noch schnell an den Mann zu bringen, bevor sie gänzlich vertrocknete.
    Als ich ihn deswegen später zur Rede stellte, gab er sich naiv und missverstanden. »Ich möchte nur, dass du deinen Bekanntenkreis etwas erweiterst und nicht ausschließlich mit brotlosen Dichtern und Künstlern auf den Bällen antichambrierst. Ich werde nicht bis an dein Lebensende für dich sorgen können, so ist es an der Zeit, dass du nach einem Manne Ausschau hältst, der dir gefällt und gleichzeitig auch die Sicherheit eines wohlhabenden Hauses bietet.«
    »Aber der Utz gefällt mir nicht«, sagte ich darauf noch keck, ohne zu ahnen, wie wenig mir doch eine Wahl blieb, wenn ich nicht die ganze Familie in den Schuldturm wandern sehen wollte.

    Das zweite Mal begegnete ich Utz auf dem Ball der Magier, zu dem, da war ich mir sicher, Vanderborg ihn eingeladenhatte. Es war eines der größten nicht vom Hofe oder dem Adel ausgerichteten Ballereignisse Berlins und auch wegen seines exquisiten Rahmenprogramms und der delikaten kleinen Speisen äußerst beliebt. Zudem gab es nicht die üblichen Beschränkungen des Zutritts wie bei den meisten der übrigen Bälle, sodass jeder, der den Eintritt bezahlen und sich eine Abendgarderobe – notfalls auch geliehen – leisten konnte, Eingang hatte. Dies machte den Ball sehr beliebt bei jungen Leuten, und bei kaum einem der Berliner Bälle gab es ein derart junges, gemischtes Publikum aus Künstlern, Literaten, Musikern und Offiziersanwärtern. Natürlich auch von Damen und Herren der Halbwelt und zwischen dem echten Schmuck blitzte nicht wenig falsches Glitzerzeug.
    Ich trug einen Traum von einem Kleid, das einst Estelles Mutter gehört hatte und somit nicht ganz der neuesten Mode entsprach, aber es war von so vorteilhaftem Schnitt, dass Utz sogleich von einer »zauberhaften Erscheinung« sprach und mir so einen Tanz abschmeichelte. Seine Unmusikalität und ein gänzlich fehlendes Rhythmusgefühl machte er durch einen engagierten Körpereinsatz wett, und nachdem wir an Foxtrott und Walzer gescheitert waren, lief er bei der Polka zu Höchstform auf und galoppierte mit mir durch den Saal, dass mir Hören und Sehen verging und mich ein Schwindelgefühl ergriff.
    Ihm aber schien es gefallen zu haben, denn als er mich bei Vanderborgs Tisch wieder ablieferte, wo dieser mit dem Großen Pilati gerade mit Champagner anstieß, da sagte er mit einem besitzergreifenden Blick auf mich: »Wenn ich’s denn heute schon sagen darf, Vanderborg, Ihr nennt mit Fräulein Estelle ein Juwel Euer Eigen, das in meiner Sammlung nicht fehlen darf. Macht mir einen Preis und ich zahle ihn!«
    Es muss an seinem Handel mit den Kolonien gelegen haben, dass er so direkt und unverblümt um meine Hand anhielt.
    Mich schreckte es ab und ich warf das Vanderborg am nächsten Morgen vor: »Er hat sich aufgeführt wie auf einem afrikanischen Sklavenmarkt. Gebt mir Euer Wort, Vater, dass ihr mich so an ihn nicht verschachern werdet. Das verstößt gegen die Menschenwürde und Friedrich würde es nie zulassen!«
    »Friedrich! Geht dir die ungesunde Leidenschaft für ihn noch immer nicht aus dem Sinn? Dann wird es umso eher Zeit, dich in die Hände eines anständigen Mannes zu geben, der dich von diesen kranken Gedanken

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