Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Vanderborg aufsuchte, um, wie der es ausdrückte, ein paar geschäftliche Transaktionen von höchster Wichtigkeit mit ihm zu besprechen.
»Ich möchte«, sagte Vanderborg einige Tage vor dem Besuch zu Hansmann und mir, »dass ihr ihm alle Aufmerksamkeit zuteilwerden lasst, die einem so erfolgreichen Geschäftsmann und Bankier zusteht.«
Und obwohl er seit der Pariser Pleite nicht nur bei der Feuerung sparte, sondern auch bei Kost und Personal, beauftragte er mich, mit der Köchin ein Essen zu diesem Anlass vorzubereiten, das »nicht verschwenderisch, aber dennoch üppig und der Bedeutung des Gastes angemessen« sein sollte.
Wir wählten zusammen aus dem Kochbuch von Henriette Davidis, das ein Standardwerk für » die gewöhnliche und feinere Küche « war, sechs Gänge für eine kleine Mittagsgesellschaft im Januar aus, die durch ihre Raffinesse unsere Budgetknappheit bestens verschleierten.
Nach einer kräftigen Fleischsuppe würde das Suppenstück mit Roter Beete sowie eingemachten sauren und Senfgurken und einer Meerrettichsauce serviert werden, gefolgt von Sauerkraut mit Hecht, einem Schweinebraten mit Kartoffelpudding und Rotweinsauce, gefüllten Schnepfen, Auflegekuchen und Früchten, Butter und Käse. Zum Rauchen Mokka auf türkische Art.
Nur schade, dass mir selbst bei diesen vorzüglichen Aussichten kein Appetit aufkommen wollte.
Am Morgen des Besuchs heizten wir den Kachelofen im Esszimmer an, doch als das Mädchen die Vorhänge zum Lüften zurückzog und die kalte, aber sonnige Morgenluft hereinließ, bat ich es mit dem Hinweis auf meine Lichtempfindlichkeit, dies auf das Nötigste zu beschränken. Ich hielt mich derweil in der dämmrigen Küche auf und sah der Köchin bei der Vorbereitung der Speisen zu.
Sie putzte mit geschickten Händen das Federvieh, schuppte den Fisch und stellte eine feine Pastetenmasse her, mit der sie die Schnepfen füllte. Danach zog sie dem Hechtfilet die Gräten, bevor sie es zusammen mit Speckscheiben aufrollte und auf Holzspieße steckte, was sehr zierlich aussah. Da aber außer mir nur Männer zu Tisch saßen, die wohl wenig Sinn für solche Kunstfertigkeit beweisen würden, hatte ich für diese ein ordentliches Bratenstück mit einer knackigen Kruste bestellt, das bereits in der Röhre schmorte und einen für menschliche Nasen sicherlich äußerst appetitlichen Geruch verströmte.
Nachdem sich im Esszimmer nun eine angenehme Wärme ausbreitete und die Fenster und Vorhänge wieder geschlossen waren, widmete ich mich der Tischdekoration, die im Wesentlichen aus wohlplatzierten silbernen Girandolen, Kristallaufsätzen mit kleinem Backwerk unddekorativ gefalteten Servietten aus feinem Leinen bestand. Das klassizistische Essservice »Kurland weiß« aus der Berliner Königlichen Porzellanmanufaktur tat ein Übriges, um einen stilvollen Rahmen für ein winterliches Essen zu schaffen. Zwar kam es mir ohne Blumenschmuck ein wenig karg vor, doch in dieser Jahreszeit bekam man frische Blumen nur aus dem Treibhaus und sie waren sündhaft teuer.
Umso mehr verwirrte es mich, dass Karolus Utz, noch bevor er den ersten Fuß in unsere Wohnung setzte, einen gigantischen Strauß von weißen Lilien mit einer an mich gerichteten alleruntertänigsten Empfehlung vorausschickte.
Ich arrangierte den überwältigenden Strauß im Esszimmer auf der Anrichte und zog einige Lilien heraus, um ihre Blüten der Tischdekoration hinzuzufügen. Sie passten hervorragend zu der kühlen Anmutung des Arrangements aus weißen Kerzen und Kristall, ja, sie waren geradezu das i-Tüpfelchen der stilvollen Inszenierung, die den Witterungsverhältnissen kaum angemessener entsprechen konnte. Natürlich bemerkte Utz sofort die frischen Blumen in der Dekoration, und so dankte ich ihm nicht nur für den herrlichen Strauß, sondern auch für die dekorative Bereicherung unserer Tafel, was ihm sichtlich gefiel und einer leichten Konversation zugutekam.
Dennoch war, freiheraus gesagt, Karolus Utz trotz dieser Höflichkeit kein Mann, dem ich bei einem Ball sofort einen Tanz reserviert hätte. Dabei konnte ich nicht einmal sagen warum.
Er war von leidlicher Statur und in seinem Auftreten tadellos. Nicht nur korrekt, sondern exquisit gekleidet, und man sah am perfekten Sitz, dass ihm Anzug und Weste ausfeinstem Tuch von einem Meister seines Faches auf den Leib geschneidert worden waren. Die Taschenuhr war aus gelbem Gold wie auch die dicken Glieder der Kette, an der er sie trug. Ein schwerer Siegelring steckte am
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