Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Mittelfinger seiner rechten Hand und lenkte meinen Blick auf eben diese kräftigen Finger, die ein wenig fatal an die prallen Würstchen erinnerten, welche man heiß gebrüht im Straßenhandel feilgeboten bekam.
Überhaupt war er insgesamt von einem eher robusten Körperbau, was nicht per se unattraktiv hätte sein müssen. In Verbindung mit seinem sehr kurzen Hals ließ ihn das jedoch gedrungen erscheinen, obwohl er mich gut und gerne um mehr als Haupteslänge überragte.
Dies und diverse exotische Accessoires, wie zum Beispiel Schuhe aus Schlangenleder, ließen ihn trotz aller Attitüde eines Biedermannes mehr wie einen Hasardeur denn einen seriösen Geschäftsmann wirken. Allenfalls passte er in das Klischee einer neuen, um nicht zu sagen neureichen, Spezies von Geschäftsleuten, die in Berlin vor allem durch ihr großspuriges Auftreten und ihre dicken Zigarren auffielen, und nicht alle von denen saßen wirklich auf einem ebenso dicken Bankkonto, sondern setzten lediglich am Glücksspieltisch des Lebens auf eine Zukunftsoption.
Bei Karolus Utz war es aber wohl doch in erster Linie eine Sache des gut gefüllten Bankkontos, denn sonst hätte Vanderborg kaum so viel Zeit und Geld auf dieses Essen mit ihm verwendet.
Er stammte, wie ich beim ersten Gang erfuhr, aus dem Schlesischen, wo seine Familie mit einer Manufaktur für Leineweberei ein kleines Vermögen gemacht hatte, welches er als einziger Sohn geschickt zu mehren wusste. Nach dem Tod des Vaters trennte er sich von der Weberei, die immerschwerer ihren Mann ernährte, und gründete mit seinem aus dem Verkauf gewonnenen Barvermögen mit sicherem Riecher für gute Geschäfte eine kleine, aber feine Kolonial- und Handelsbank, mit der er Geschäftsaktivitäten in den Deutschen Schutzgebieten, insbesondere in Afrika, kreditierte. Zahlreiche Geschäftsleute erwarben zu dieser Zeit Grund und Boden in Afrika und finanzierten diese Käufe über Kredite, die ihnen Utz zu besonders auch für ihn selbst vorteilhaften Konditionen gewährte.
Nachdem er mehrmals Geschäftsfreunde nach Deutsch-Südwestafrika begleitet hatte, entschloss er sich, selbst in den Importhandel einzusteigen, und erwarb eine Kupfer- und eine Diamantenmine, die hohe Rendite versprachen. Er erzählte dies alles zwischen Suppe und Fisch und drehte dabei recht auffällig den markanten Siegelring am Mittelfinger, sodass ich nicht umhinkonnte, auch den daneben am Ringfinger platzierten Diamantring wahrzunehmen. Der barocke Brillantschliff funkelte beim Kerzenschein, und ich fand, dass es zu viel Glanz war für einen Mann, der ernst genommen werden wollte.
Vanderborg hingegen schien daran keinen Anstoß zu nehmen, was nicht verwundern musste bei jemandem wie ihm, der die meiste Zeit seines Lebens in der Welt der Varietés gelebt hatte, in der, wie man weiß, der Schein entscheidender ist als das Sein. Und der Schein, den Utz verbreitete, blendete Vanderborg perfekt.
Mir hingegen war seine übertriebene Jovialität, die bei fortgeschrittenem Essen und kräftigem Zuspruch für den Tischwein zunehmend lauter wurde, unangenehm, was damit zusammenhängen mochte, dass mir bisher noch nie ein Mann mit einem solchem Auftreten begegnet war und ich ihm gegenüber mithin eine große Unsicherheit empfand,die er offenbar für mädchenhafte Schüchternheit hielt, was ihm zu gefallen schien. Wie er überhaupt aus seinem Interesse an mir keinen Hehl machte und viel zu häufig das Wort an mich richtete.
Er kam sich dabei offensichtlich charmant und weltläufig vor und Vanderborg und Hansmann förderten auch noch seine Avancen.
Für mich hingegen war er wie ein wildes Tier, das man für einen Auftritt im Zirkus in ein ganz und gar nicht zu ihm passendes Gewand gesteckt hatte, dessen Zwang es sich nur so lange unterwarf, bis sich die Gelegenheit bot, es in Fetzen von sich zu schleudern und seiner wahren Natur wieder freien Lauf zu lassen. Ich konnte es nicht wirklich begründen, aber ich sah in Utz von Anfang an eine Gefahr für mich. Dabei hatte ich damals noch nicht die geringste Ahnung, wie sehr sich mein Leben schon bald mit dem seinen verbinden würde.
Zwar gab Vanderborg vor, Utz nur zum Essen geladen zu haben, weil er Geschäftliches mit ihm zu besprechen hätte, aber insgeheim verfolgte er schon damals den Plan, Estelle mit Utz zu verheiraten.
Der Hintergrund war mir nicht wirklich bekannt und so nahm ich an, dass er ihn einfach nur wegen seines Reichtums für die besagte gute Partie hielt, von der ein jedes
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