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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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hastigen Schritten strebte ich zu einem der Künstlerlokale, in denen ich mit Friedrich so manche Stunde bei einem proletarischen Bier verbracht hatte. Nur einmal noch wollte ich unter all diesen jungen Menschen sein, eine von ihnen sein, bevor mich mein neuer Status als Braut von Utz von solchen Vergnügungen ausschloss.
    Ich schlüpfte in die Kneipe und hockte mich an einen der wackeligen Holztische. Ein junger Mann erkannte mich und auch ich erinnerte mich an ihn. Sogar sein Name,Amoz, war mir noch geläufig und so sprach ich ihn an. Er war ein jüdischer Poet und nagte wie viele seiner Art am Hungertuch. Er hatte die Angewohnheit, nur am Biertisch zu schreiben und dann seine lyrischen Ergüsse auch sogleich vorzutragen. Diesmal war ich sein auserwähltes Opfer.
    »Ach, Nele,
du spielst die Ukulele,
Ach, spieltest du doch Flöte,
ich dir die meine böte
zu Lust und Trieb,
mein Lieb!«
    Um dem grausamen Spiel ein Ende zu machen, denn seine Verse waren nicht nur vom Reim her meist ziemlich unrein, gab ich ihm ein Bier aus und schäkerte recht freizügig mit ihm, was ihm so sehr den Kopf verdrehte, dass er, begierig auf ein körperliches Vergnügen, bald bereitwillig mit mir das Lokal verließ.
    Es war eisig in der nächtlichen Gasse und so schlug er vor, das nicht weit entfernte Haus einer Freundin aufzusuchen, in dem sie ein Bordell betrieb und in dem er offenbar öfters zu Gast war.
    »Sie überlässt uns ein Zimmer zu einem Sonderpreis«, verhieß er mir und so war es auch.
    Ich verhüllte mein Gesicht, als wir das Etablissement betraten, und als ich es wieder verließ, ebenfalls.
    Es war eine frostklirrende Nacht, aber ich spürte die Kälte nicht mehr, denn in mir pulsierte warmes Blut.
    Man fand Amoz Stunden später und die Gazetten berichteten am nächsten Tag in schreienden Schlagzeilen, dass erneut ein junger Mann Opfer der unheimlichen Mordserie geworden sei, bei der die Toten aufunerklärliche Weise ohne einen Tropfen Blut zurückblieben. Und da der Verfasser wieder Ludolf Radke war, spekulierte er natürlich auch wieder über Vampirismus und die unbekannte Schauspielerin, wohlmöglich eine Französin aus Paris, die mordend durch Berlin zu streifen schien. »Hinweise auf diese Frauensperson nehmen jede Polizeiwache und der Herr Reporter Radke entgegen.«
    Diesmal war ich vorsichtiger gewesen und darum sicher, dass ich keine Spuren hinterlassen hatte, aus denen mir Radke einen Strick drehen könnte. Auch dieses Mal hatte ich nicht gern getötet, aber wie sonst hätte ich mich rüsten können für die unabwendbare Verlobung mit Utz?

    Anders, als es eigentlich üblich war, sollte die Verlobung nicht im Hause Vanderborg durch den Brautvater, sondern durch Utz persönlich auf seinem jährlichen Maskenball verkündet werden. Ich fand es einen etwas unernsten Rahmen für eine so ernste Angelegenheit, doch da außer mir niemand daran Anstoß nahm und selbst Friedrich sein Kommen avisiert hatte, fügte ich mich darein und wählte ein normales Ballkleid aus dem Bestand von Estelles Mutter und eine venezianische Larve, die ich mir vor das Gesicht halten konnte.
    Allein ich hatte meine Planung ohne Utz gemacht.
    Am Morgen des Balles ließ er mir ein Kostüm ins Haus schicken, das mir aufgrund seiner großen Pracht fast den Atem nahm. Es war von einem exklusiven Modesalon geschneidert und eigentlich von schlichtem Schnitt, doch die florale Ornamentik war so edel mit Strass- und Pailletten-Stickerei ausgeführt, dass es Utz ein Vermögen gekostet haben musste. Es gehörte eine aus Glasperlenschnüren gehäkelte Haube dazu, die wiederum für sich ein kleinesKunstwerk darstellte. Alles folgte dem neuesten Pariser Jugendstil, und als ich nicht widerstehen konnte und hineinschlüpfte, war mein Anblick im großen Spiegel so faszinierend, dass ich mich zwingen musste, nicht völlig die Contenance zu verlieren und in einen Begeisterungsschrei auszubrechen.
    Vanderborg und Hansmann war das Geschenk zwar gar nicht recht, doch da es von Utz kam, dem sie, mit Verlaub, alles zur Lieb tun würden, ging es durch und Vanderborg gab mir seinen Segen. Ich wäre keine Frau gewesen, wenn ich nicht diesen Traum von einem Kleid mit allerhöchstem Stolz und unbeschämter Eitelkeit getragen hätte.
    Wir fuhren mit der Kutsche und mein Auftritt im großen Foyer von Utz’ Haus erregte nicht eben wenig Aufsehen. Das Raunen, welches bei meinem Anblick durch die anwesende Herren-, aber auch Damenwelt ging, erfreute Utz über alle Maßen, und so

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