Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Unternehmens fehlte Vanderborg nun das Geld, um dem Großen Pilati den Vorschuss zurückzuzahlen. Da andererseits die Schuldverschreibungen fällig waren, hatte Utz das finanzielle Schicksal beider Männer in seiner Hand. So war ich also das Damenopfer in einer Schachpartie, die Vanderborg und der Große Pilati gemeinsam verzockt hatten.
»Wäre nicht auch unsere Reise nach Paris während der Weltausstellung finanziell so desaströs ausgefallen, so hätten wir den Verlust vielleicht überstehen können«, versuchte Vanderborg mir noch einmal eindringlich den Ernst der Lage bewusst zu machen. »Aber sowohl meine ohnehin bescheidenen Mittel als auch die Rücklagen des Großen Pilati sind praktisch aufgebraucht. Du weißt, dass wir seit Monaten an allem sparen müssen, und wenn uns nicht durch ein Wunder oder deine Heirat Rettung zuteilwird, werden wir diese Wohnung verlassen und uns in einem billigeren Viertel Quartier suchen müssen. Ich glaube, ich brauche dir nicht extra sagen, dass damit deine Aussichten auf eine gut situierte Heirat perdu sind.«
Er stand am Fenster, und weil er eine Zigarre rauchte, schob er ohne Nachdenken den Vorhang zurück und riss das Fenster auf, um Frischluft hereinzulassen. Das Licht des hellen Tages traf mich ohne Vorwarnung, und wäre ich nicht mit einem Schrei sofort auf den schattigen Boden gestürzt, hätte mich weder die Frage einer Heirat mit Utz noch die ruinöse pekuniäre Lage Vanderborgs weiter interessieren müssen, denn ich wäre im nächsten Augenblick zu Staub auf dem Licht geworden. So aber fuhr Vanderborg erschreckt zusammen, warf das Fenster zu und zerrtehastig den Vorhang wieder davor. Er eilte zu mir und half mir, nachdem er sich von meiner Unversehrtheit überzeugt hatte, auf die Beine.
Sein Gesicht war zerfurcht von Sorge, als er sagte: »Nicht jeder Mann wäre bereit eine Frau zu heiraten, die solche Gebrechen … ähm … ich meine, eine solche unbekannte, aber das Dasein doch extrem einschränkende Krankheit hat …«
»Ihr habt mit Utz darüber gesprochen?«
Ich war erbost über diese Verletzung meiner Intimsphäre, doch Vanderborg schien sich keiner Schuld bewusst zu sein.
»Du kannst nicht heiraten, ohne deinen künftigen Mann darüber aufzuklären, dass du seit dem Unfall in den Karpaten auf Licht, besonders das der Sonne, mit dieser krankhaften Empfindlichkeit reagierst …«
»Aber ich will ja gar nicht heiraten … und so muss ich auch niemandem zur Last fallen …« Ich starrte Vanderborg an, bis er betreten zu Boden schaute.
Es bedurfte keiner Worte mehr. Mir war klar, dass selbst er mich als eine Belastung empfand. Er schämte sich, weil ich ihn durchschaut hatte, und versuchte andere Gründe zu nennen, warum ich so dringlich den Utz heiraten sollte.
»Deine Eskapaden mit Friedrich, die Berliner Gesellschaft hat sie nicht vergessen, du musst froh sein, dass Utz so großzügig und tolerant darüber hinwegsieht …«
Das musste ich wohl, und obwohl ich nicht verstand, warum gerade Utz dieses starke Interesse an mir entwickelte, schien er wirklich der Einzige zu sein, der ein so aus der Art geschlagenes Geschöpf wie mich zur Frau nehmen würde.
Vielleicht war er gar nicht so bieder, wie er sich gab,vielleicht trug er seine Schlangenlederschuhe nicht nur, weil sie exotisch und modern waren, sondern weil sie über die engen Grenzen der Berliner Gesellschaft hinauswiesen, weil sie wie die Flügelschuhe des Hermes Merkantilismus und Freiheit gleichzeitig symbolisierten. Vielleicht war er in die Kolonien aufgebrochen, weil er das enge Dasein in Europa insgeheim verabscheute, weil er das Abenteuer suchte und die Herausforderung fremder Welten. Hatte er nicht auch eine Erfindung Vanderborgs kreditiert, an die nur ein Verrückter glauben konnte? Ich erinnerte mich an unsere erste Begegnung, bei der ich in ihm unterschwellig einen Hasadeur zu erkennen glaubte, und ehe ich mir dessen wirklich bewusst wurde, redete ich mir Karolus Utz so weit schön, dass ich direkt neugierig auf sein wahres Wesen wurde und Vanderborg beauftragte, ihm meine Einwilligung in die Verlobung zu überbringen.
Er drückte mich im Überschwang an sich, stammelte seinen Dank und dass ich immer, auch nach der Hochzeit, sein Augenstern bleiben würde, und stürzte, ehe ich es mir anders überlegen konnte, aus dem Haus, um Utz gleich persönlich die frohe Botschaft mitzuteilen.
Ich ließ mir meinen Pelz bringen und schlich mich durch den Dienstboteneingang aus dem Haus. Mit kleinen,
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