Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
begrüßte er mich hochgestimmt mit einem formvollendeten Handkuss und ließ dann Champagner für mich und meine Begleiter reichen, während er andere Gäste empfing.
Er hatte sich nicht eben originell einen Cäsarenkranz aus frischen Lorbeerblättern aufgesetzt und seine stämmige Figur mit einer Tunika umhüllt. So konnte jeder sehen, wer hier der Herr des Hauses war. Ob hier und heute wohl auch ein Brutus lauerte, um seine Macht mit einem Dolch zu brechen?
Ich zuckte bei diesem ganz und gar unziemlichen Gedanken zusammen und verscheuchte ihn schleunigst mit einem Schluck Champagner.
Kaum dass ich ihn getrunken hatte, kam Friedrich, verhüllt mit einer schwarzen Augenmaske, auf mich zu und nach einer herzlichen Umarmung zog er mich vonVanderborg und Hansmann, die ihm nicht übermäßig freundlich begegneten, fort in eine Ecke, wo einige seiner Freunde vom Militär standen und Späße machten. Alle ebenfalls maskiert wie er, ansonsten in feiner Ausgehuniform mit glänzenden Knöpfen und glitzernden Kokarden und Epauletten.
Darunter war auch ein Leutnant aus adeligem, aber – wie Friedrich mir flüsterte – leider verarmtem Hause, der mir sofort auffiel, weil er nicht nur von exquisiter Männlichkeit war, sondern weil sein ausdrucksvoller Mund so traurig wirkte. Und obwohl die Maske einen Teil seines Gesichtes verbarg, war ich seltsam fasziniert davon, denn seine Züge, Kinn und Wangenknochen waren markant und edel.
Er mochte nicht viel älter als Friedrich sein, wirkte jedoch, als wäre er der Älteste und Reifste in diesem Haufen junger Offiziersanwärter.
Zudem schien er in eine seltsame, höchst attraktive Melancholie gehüllt, die ihn wie ein schützender Mantel umgab. Was für ein Schmerz mochte ihn quälen, der so mit ihm wie eine zweite Haut verwachsen war?
»Weltschmerz!«, sagte Friedrich lachend, als ich ihn darauf ansprach. »Das trägt man heutzutage in seinen Kreisen. Das ist très chic zwischen Verfall und Dekadenz.«
Er lachte lauter und deutete etwas zu auffällig zu dem Leutnant hinüber. »Schau ihn dir an, meinen Freund Amadeus von Treuburg-Sassen, er ist so arm, dass eine Kirchenmaus im Vergleich zu ihm Fettlebe hat. Dabei ist er ein Bild von einem Mann! Doch was nützt ihm Schönheit und adeliges Blut? Würde er um deine Hand anhalten, du würdest doch wie alle anderen Frauen auch den reichen Utz vorziehen. C’est la vie! Wen würde das nicht melancholisch machen?«
Der Leutnant sah nun ebenfalls recht auffällig zu uns herüber, und ich fühlte, wie mir unter seinem Blick das Blut in die Wangen schoss, ein für mich seltenes und darum besonders unangenehmes Gefühl. Schnell hob ich die Maske wieder vor das Gesicht.
Es gefiel mir nicht, wie locker Friedrich sprach, vor allem weil es mich nun noch mehr genierte, dass ich heute tatsächlich mit Utz die Verlobung eingehen sollte. Nun, wo er mich als eine Frau darstellte, die keine Prinzipien hatte und sich wie alle anderen an den Erstbesten verkaufte, der ihr ein sorgloses Leben im Wohlstand bieten konnte, mochte ich es ihm nicht mehr erzählen, sondern sagte nur ein wenig aufbrausend: »Du irrst, Friedrich, ich werde nie …«
»Verzeiht, wenn ich mich einmische, gnädiges Fräulein, aber worauf auch immer Ihr es beziehen wollt … man sage niemals nie …«
Ich fuhr herum und sah geradewegs in das mir viel zu nahe Gesicht des Leutnants von Treuburg-Sassen, dessen Maskierung mir keineswegs seinen eindringlichen Blick verbarg, der entschieden zu intim war für eine erste, höfliche Kontaktaufnahme. Ja, er war geradezu dreist. Doch ich fing mich, nahm die offensichtliche Herausforderung an und fragte keck: »Das müsst Ihr mir erklären! Was bringt Euch zu dieser Ansicht?«
»Das Leben selbst«, sagte er gelassen und mit ein wenig Schalk in den Augen, der seine melancholische Aura Lügen strafte. »Wenn wir nie sagen, sagt das Leben es noch lange nicht. Was immer wir Großes vorhaben, das Leben wirft uns alle nieder und beugt uns gewaltiger, als wir es uns in unseren schlimmsten Albträumen ausmalen können. Und ganz plötzlich ist das, was uns ein Nie entlockte, vielleicht die einzige Chance, die uns noch bleibt.«
Ich starrte ihn entsetzt an, denn was er sagte, klang mir angesichts meiner bevorstehenden Verlobung mit Utz wie ein dunkles Orakel in den Ohren und ich konnte nicht verhindern, dass ich bei seinen Worten in meinem tiefsten Inneren fröstelte.
»Nur keine Panik, schönes Fräulein, nur ein wenig mehr Realismus. Folgt
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