Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
vorstellen. Der Herr Leutnant ist ein Militärkamerad aus dem Regiment meines Bruders Friedrich …«
»So«, sagte Utz und der missmutige Ausdruck in seinem Gesicht verstärkte sich noch. So etwa musste Cäsar ausgesehen haben, nachdem ihm die Auguren sein Schicksal aus stinkenden Geflügelinnereien gelesen hatten.
»Leutnant ist er und von Adel? Dann sollte er wissen, was sich schickt, und die Etikette in meinem Hause wahren! Das Fräulein ist meine Verlobte und es ist an ihm, mich zu fragen, ob ich sie zu einem Tanze freigebe.«
Er zwirbelte seinen Schnurrbart nach oben. »Damit er es weiß – ich tue es nicht!«
Der Blick, der mich aus den Augen des Leutnants traf, war so abgrundtief enttäuscht, dass mir ganz elend wurde. Für was für eine abgebrühte Person musste er mich jetzt halten. Eine Lügnerin, die lauthals auf die wahre Liebe schwor und sich dann einem wie dem Utz anverlobte. Ich war bis in mein Mark beschämt und so drängte es mich, von Treuburg-Sassen wenigstens Utz gegenüber zu verteidigen, und ich warf ein: »Aber es war meine Schuld … ich habe es gestattet und kein Ende gefunden …«
Utz fuhr mir über den Mund. »Papperlapapp! Der Leutnant wird sich entschuldigen, so er ein Mann von Ehre ist.«
Ich zuckte zusammen, doch von Treuburg-Sassen sagte ohne Zögern und mit einer Blasiertheit, zu der nur alter Adel fähig ist: »Aber natürlich, sofern er mir Pardon gewährt. Es muss die überirdische Schönheit Eurer Braut gewesen sein, die mich die Etikette gänzlich vergessen ließ. Dennoch, ein unverzeihlicher Fauxpas.«
Er griff nach meiner schlaff herabhängenden Hand, drückte einen viel zu intensiven Kuss darauf und verabschiedete sich mit den Worten: »Ihr seid ein wahrhaft glücklicher Mann, Herr Utz, ein solches Kleinod zu besitzen.«
Wie gerne hätte ich ihm nachgerufen: Noch besitzt er mich nicht … noch lässt sich alles ändern … es ist nie zu spät … wenn einer, wie Ihr es seid, mein Herz berührte, wasgäbe ich darum … Zu allem wäre ich fähig … Ach, verlasst mich nicht!
Aber ich schwieg, und als es Mitternacht schlug und alle die Masken fallen ließen, verkündete Utz unsere Verlobung.
Mir war nicht bewusst, dass er als Einziger die Maske aufbehalten hatte – es war die des Biedermannes, hinter der er sein wahres Wesen so erfolgreich verbarg.
Ich hatte mich wie ein Tier in der Falle gefühlt, und als Utz sich mir näherte, um den obligatorischen Verlobungskuss zu zelebrieren, war ich zutiefst beschämt, weil ich mir dabei vorstellte, dass es der Leutnant wäre, der mich küsste.
Die Dichter schreiben viel über die Liebe, was junge, charmante Herren gerne zitieren. Da nehme man nur den romantischen Heine von Friedrich und seine Küsse und sehnsuchtsvollen Tränen am Meer im Sonnenuntergang. Das ist ein Stimmungsschmelz, der jedem Mädchen das Herz aufgehen lässt und es bereit macht, dem Galan willfährig in die Arme zu sinken. Nur wenige sprechen jedoch von ihrer zerstörerischen Macht, von jener Liebe, die alles bedingungslos niederzwingt unter ihren schrecklichen Bann, die nicht zart und romantisch daherkommt, sondern als wildes Begehren einer alles verzehrender Leidenschaft und die schon von ihrem Anbeginn an den Untergang der Liebenden in ihrem Feuer in sich trägt. Doch eben das war es, was ich fühlte, als mich die fleischigen Lippen von Utz berührten.
Es war, als hätte ich meine Seele noch einmal dem Teufel verpfändet, denn ich empfing seinen Kuss nicht mit der Keuschheit einer liebenden Frau, sondern gleichsam als Verräterin, die schon vor der Ehe ihren Gatten betrog, weil sie das Antlitz eines anderen vor Augen hatte. Es war das Gesicht des Leutnants Amadeus von Treuburg-Sassen, dassich zwischen Utz und mich gedrängt hatte. Und weil ich ihn, gegen Vernunft und Anstand, so innig begehrte, war mir der Kuss von Utz nur noch eklig und zuwider.
Dennoch ließ ich mir seinen Ring an den Finger stecken und mich unter dem Beifall der Gäste zu seiner Verlobten machen.
Aber ich hasste mich dafür!
Ich war in einen der exquisit ausgestatteten Waschräume geflüchtet, um mir die Lippen nachzuschminken, und entsetzt über meinen Anblick in dem riesigen, mit floralen Ornamenten eingerahmten Spiegel. Wie bleich ich doch war, mit tiefen schwarzen Schatten unter den Augen, deren gehetzter Blick mir verstörend begegnete. Schnell tat ich, was ich musste, und verließ dann eilig und in labiler Stimmung den Raum. Immer noch fühlte ich den unsagbar
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