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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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langsamere Gangart mit seinen Pferden.
    Nun bin ich kein furchtsamer Mensch, was angesichts meiner von Verbrechen und Gewalt durchzogenen Vergangenheit nachvollziehbar sein dürfte, aber in einer rüttelnden, rasenden Kutsche zu hocken, die offenbar entführt worden war, ohne zu wissen, wohin die Reise ging, entsetzte mich doch und meine Panik wuchs noch weiter, als ich feststellte, dass die Fahrt aus Berlin hinausführte.
    Es gab keine Straßenbeleuchtung mehr und die gepflasterten Straßen wurden von unbefestigten Wegen abgelöst. Das Rumpeln ließ etwas nach und das Tempo verringerte sich.
    Ich hatte das Bedürfnis, die Tür aufzustoßen und mich aus der Kutsche zu stürzen, um dem zu entgehen, was vermutlich auf mich wartete. Irgendjemand musste mich für eine wohlhabende Dame gehalten haben, die es zu berauben lohnte. Wenn er feststellte, dass ich keine Preziosen besaß, bis auf das teure Kleid an meinem Leibe, würde er sich daran vergreifen und mir so ganz nebenbei ein wenig Gewalt antun, wie es zumeist die Art räuberischer Männer war. Wie schwer ist es doch, solch ein Schicksal vor Augen, in eine unaufhörlich rollende Kutsche gebannt zu sein, ohne die kleinste Möglichkeit zu haben, das Geschick zu wenden!

    Die Erinnerung an ein ähnliches Ereignis stand mir plötzlich vor Augen. Ich saß in einer Postkutsche auf dem Weg nachBaden. Es war um das Jahr 1848. In Württemberg herrschten Chaos und Revolution und die Wälder waren unsicher durch viele Vogelfreie, die sich dort vor dem Landesheer des Herzogs versteckten. Viele waren seit Tagen ohne Nahrung und in ihrer Verzweiflung wurden sie zu Räubern und f ielen sogar über Postkutschen her.
    Ich war in einen Zustand der Apathie verfallen, weil ich seit ewigen Zeiten keinen Tropfen Blut zu mir genommen hatte und nur von meinem Racheschwur am Leben erhalten wurde.
    Auf einem gebirgigen Stück des Weges türmte sich plötzlich eine Steinlawine vor uns auf, und als der Kutscher begann mithilfe des zweiten Fahrgastes, eines kräftigen Bauern aus dem Umland, das Hindernis vom Wege zu räumen, f ielen mit lautem Geschrei drei räuberische Gesellen über uns her. Aber sie hatten ihre Rechnung nicht mit dem Kutscher gemacht. Er zog Gewehr und Pistole aus der Waffentasche auf dem Kutschbock und erschoss mit kaltem Herzen zwei der Räuber. Der dritte entfloh. So wie es schrecklich war, bedeutete es doch damals meine Rettung. Der Kutscher schleifte nämlich die Räuber ins Gebüsch, und während er mit dem Bauern im Scheine der Kutschenlaternen den Fahrweg freiräumte, schlich ich mich aus dem Wagen und stillte meinen unerträglichen Durst.
    Der eine war ein schmieriger, dreckiger Lump, von einem Pesthauch umgeben, bei dessen bloßem Anblick sich mein Magen ablehnend zusammenkrampfte. Er hatte vermutlich schon vor seinem Tod nach fauligem Aas gestunken und in seinen Adern floss es schwarz und dickflüssig wie schlechte Tinte.
    Aber der andere war ein junger, hübscher und appetitlicher Kerl, in dem noch ein letzter verglimmender Funke Leben war. So wie er aussah, so war auch sein Blut, warm und würzig und von einer feinen fruchtige Süße, die im Hintergrund Anklänge von getrockneten Feigen und reifen Maulbeeren aufscheinenließ, während der Abgang herzhaft an Leder, Tabak und Zedernholz erinnerte. Ich hatte lange nicht mehr so gut gespeist, und es tat mir weh, ihn nach dieser köstlichen Blutmahlzeit den Wölfen zum Fraß zurücklassen zu müssen.

    Dunkle Schatten von hohen Bäumen glitten finster drohend am Fenster der Kutsche vorbei und nährten erneut meine Angst, in einer abgeschiedenen Gegend zum Opfer räuberischer und männlicher Gewalt zu werden. Aber die Erinnerung an den Überfall auf dem Weg nach Baden weckte Widerstand in mir. Ich hatte nicht Jahrhunderte hindurch allen Gefahren getrotzt, um jetzt kampflos zu resignieren. So sann ich also auf Gegenwehr.
    Wenn mir der Schurke körperlich nicht allzu überlegen war, so konnte ich vielleicht die Reste meiner vampirischen Kräfte mobilisieren und ihn zu Tode bringen, ehe er sich an mir vergehen konnte. Es käme auf das Überraschungsmoment an, denn sicherlich erwartete er eine verstörte, zähneklappernde und absolut hilflose Dame der feinen dekadenten Gesellschaft vorzufinden und nicht eine wehrhafte Person wie mich, die mit übermenschlicher Stärke mehr als einem Mann den Schädel eingeschlagen hatte. Von meinem tödlichen Blutkuss gar nicht zu reden.
    Ich war also gerade dabei, Mut zu fassen, als die

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