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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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Kutsche abrupt hielt und mir sofort das Herz erneut in Panik zerspringen wollte. Wie gelähmt erwartete ich den Augenblick, in dem der Wagenschlag geöffnet wurde und ich in das Gesicht meines brutalen Entführers schauen musste.
    Wie viel einfacher ist es doch, in Gedanken eine Situation durchzuspielen und siegreich aus ihr hervorzugehen, als im wirklichen Leben das Richtige zu tun! Das hatte von Treuburg-Sassen bei seiner klugen Rede nicht bedacht!
    Ich fühlte mich so elend und ausgeliefert wie schon lange nicht mehr. Warum also noch länger warten? Ich besann mich auf meine außerordentliche Schnelligkeit, streifte die hochhackigen Schuhe von den Füßen und raffte das Kleid unter dem Pelz bis über die Knie, dann stieß ich die Wagentür von innen auf und stürzte in panischer Flucht aus der Kutsche.
    Ich rannte in den Wald hinein, ohne nach rechts und links oder gar nach hinten zu sehen, aber sofort hörte ich die Schritte meines Verfolgers hinter mir, fast fühlte ich schon seinen keuchenden Atem in meinem Nacken.
    Weit kam ich nicht.
    Der gefrorene Boden schnitt mir in die Fußsohlen und das Kleid blieb im Gebüsch des Unterholzes hängen, Brombeerranken hakten sich darin ein und zogen mich mit ihren dornigen Schlingarmen zu Boden. Ich riss daran, bis mir die Hände bluteten, dann war mein Verfolger da.
    Vollkommen fassungslos starrte ich ihn an und brach zusammen. Vor mir stand Leutnant Amadeus von Treuburg-Sassen und er trug noch immer die schwarze Augenmaske.

    Wenig später lag ich an seiner Brust, und Tränen liefen mir über das Gesicht, als er meine Hände küsste, die noch aus unzähligen kleinen Wunden bluteten, welche die Dornen der Brombeeren gerissen hatten. Wie eine Birke im Wind zitterte ich in seinen Armen und konnte nicht glauben, was mir geschehen war. Er hockte sich auf einen umgestürzten Baumstamm, zog mich auf seinen Schoß und raffte sein Cape und meinen Pelz dichter um uns, sodass sie uns wie ein Zelt umhüllten. Er hatte nun die Maske abgenommen und näherte sein Gesicht dem meinen. Sein warmer Atem strich wie das milde Wehen des Windes in einer südlichenSommernacht darüber hin, ehe seine Lippen weich und sanft meine Wange berührten und die Tränen fortküssten.
    »Du musst mir verzeihen, Estelle«, drang seine Stimme dunkel und schwer an mein Ohr. »Es war eine Dummheit, ein unverzeihlicher Bubenstreich, eines Mannes unwürdig … aber ich war so voller Verlangen nach dir, und als ich hörte, dass du wirklich dem Utz dich anverlobt hast, da verbrannte meine Liebe zu dir meinen Verstand.«
    Er schwieg, weil sich im Dunkel der Nacht unsere Münder gefunden hatten, und sanft und werbend tastend schloss seine Zunge den meinen für ihn auf.
    Wir kosten uns und fielen schließlich in eine Leidenschaft, die nur durch einen plötzlich einsetzenden Schneesturm gebremst wurde. Zur rechten Zeit. Denn wäre es weiter gegangen, so hätte ich nicht dafür garantieren können, dass nicht meine unselige Natur hervorgebrochen wäre und dieser romantisch verwegene Coup in einem Blutrausch geendet hätte. Es waren keine sanften, weichen Flocken, die wir uns noch hätten gefallen lassen, sondern nasser Matschschnee, der uns schließlich doch die scharfe Kälte auf unseren halb nackten Leibern spüren ließ.
    Amadeus drängte daher fürsorglich darauf, zur Kutsche zurückzukehren, die doch immerhin etwas Schutz vor den Unbilden der Witterung bot.
    Nun, wo ich ihm nicht mehr wie ein wildes Reh dem Jäger entspringen musste, willigte ich gerne in diesen Vorschlag ein. Es nützte ja nichts, wenn er mir an einer Influenza einginge.
    Amadeus trug mich, um meine arg mitgenommenen Füße zu schonen, durch das Dickicht zurück, und viele Pailletten und so mancher Strassstein blieben im Wald liegen.
    Endlich hörten wir die Pferde schnauben und derdunkle Umriss der Kutsche tauchte im Schneegestöber auf. Uns beiden schlugen nun klappernd die Zähne aufeinander, als wir durchnässt und fast erfroren erschöpft auf die Bänke der Kutsche sanken.
    »Ich bin ein Idiot, Geliebte! Was habe ich getan? Ich hätte es verdient, dass du mich umgehend der Gerichtsbarkeit auslieferst, damit man mich standrechtlich für dieses Verbrechen erschießt.«
    Wahrlich Recht gesprochen, dachte ich, aber galt nicht auch, dass nichts ein Verbrechen sein kann, was einer aus Liebe tut? Und hatte ich es nicht genauso gewollt wie er? War mir Amadeus nicht nur zuvorgekommen? Hatte ich zu dem Leutnant vom ersten Augenblick unserer Begegnung

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