Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
ich ihm vor Gott und den Menschen die Treue bis in den Tod geschworen hatte, obwohl ein anderer Mann in meinem Herzen wohnte, mit dem ich ihn auch weiterhin betrügen wollte.
Wie ich mich nun so in dem Spiegel sah, stieg dieser Ekel erneut in mir hoch und ich konnte nicht mehr hinunter in den Saal und Utz unter die Augen gehen.
Amadeus’ Verhalten jedoch hatte mir noch einmal bewusst gemacht, dass es nicht möglich war, mit Utz verheiratet zu sein und zugleich mit ihm die Liebschaft fortzuführen. Seine Liebe war zu ungestüm und zu bedingungslos, als dass sie hinreichend Vorsicht walten ließ, und so würde er über kurz oder lang durch eine lieb gemeinte, aber unbedachte Handlung meinen ganzen Plan zunichtemachen und uns alle ins Verderben stürzen. Und so beschloss ich nun doch zum wiederholten Mal und mit schwerem Herzen, endgültig meine Affäre mit Amadeus zu beenden und Utz das treue und willfährige Weib zu sein, das er erwarten durfte.
Weil neben meinem Schicksal auch das aller Vanderborgs von ihm abhing, durfte ich nicht nur wegen dersittlichen Bedenken, sondern auch aus kühlem wirtschaftlichem Kalkül kein weiteres Risiko mehr eingehen. Und Amadeus war ein Risiko, denn jede Liebe ist per se ein Risiko.
Ich wollte mich nicht mehr niederzwingen lassen durch sie, nein, ich wollte mein Schicksal akzeptieren und mich einmal mehr im Verzicht üben, wie ich es Jahrhunderte hindurch getan hatte.
Diese Entscheidung richtete mich innerlich so weit auf, dass ich, auch äußerlich Haltung bewahrend, noch einmal zur Festgesellschaft hinuntergehen und mit Utz und allen Gästen mit Champagner auf das neue Jahr anstoßen konnte und an seinem Arm von der Terrasse aus dem Feuerwerk beiwohnte, das er, großartig und ohne Kosten zu scheuen, hatte inszenieren lassen. Als sich weit nach Mitternacht Vanderborg und Hansmann, der mit seiner Gertrud sehr herzlich schäkerte, verabschiedeten und Friedrich sich auch empfahl, stieg ich hinauf in meine Räume und wartete auf meinen Gemahl und darauf, dass er den Bund vollendete, den er heute mit mir geschlossen hatte, und die Ehe vollzog.
Ich war schon fast eine ganze Stunde wie ein gefangenes Tier hin und her gerannt und noch immer kam er nicht. So blieb mir viel zu viel Zeit, um über ihn und mich und auch noch einmal über Amadeus nachzudenken, und ich hatte einmal mehr das Gefühl, dass das, was ich im Begriff war zu tun, vollkommen falsch war.
Sosehr ich auch das Wohl der Vanderborgs im Sinn hatte, so wenig konnte es doch durch das Leid von Amadeus und mir erkauft werden. Und sosehr ich mir auch den Utz schöngeredet hatte, so hatte sich doch nichts daran geändert, dass ich von Anfang an in ihm ein gefährliches Tier gesehen hatte, das mühsam gebändigt hinter der Maskeder Jovialität eine Gewalttätigkeit ausstrahlte, die genauso Teil seines Wesens zu sein schien wie gewitzte Kaufmannslist und vollendete Umgangsformen. Afrika schien dieser Bestie ordentlich Nahrung gegeben zu haben, und wenn er dort, wie ich vermutete, seinen Trieben bei Jagd und einheimischen Frauen freien Lauf gelassen hatte, dann wollte er sie gewiss hier in Berlin nicht wie ein Mönch in fleischloser Askese und im Gutmenschentum verkümmern lassen.
So war mir also vor der Hochzeitsnacht bange und ich steigerte mich in eine nahezu hysterische Nervosität hinein, weil er mich immer noch zuwarten ließ. Doch je länger er ausblieb, desto mehr nährte ich in mir die Hoffnung, dass Utz, der in seinem Haus ja ständig große Gesellschaften gab, vielleicht über den reichlichen Alkoholgenuss nicht mehr erinnerte, aus welchem Anlass heute gefeiert wurde, und neben der Silvesternacht die Hochzeitsnacht schlichtweg vergaß.
Das tat er zwar nicht, doch war er so sternhagelvoll, dass er kaum stehen konnte und auch sonst nichts mehr zum Stehen brachte. Es dämmerte schon fast der Morgen, als er in mein Zimmer stolperte und mich mit gelallter Galanterie in das angrenzende Eheschlafzimmer komplimentierte, dessen Pracht mir immer wieder neu den Atem nahm. Diesmal allerdings raubte mir nicht nur die Exklusivität des Ambiente die Luft, sondern mich würgte auch die Panik vor der nun unausweichlich fälligen Vereinigung mit Utz.
Zugleich war mir klar, dass es unvernünftig und unnatürlich war, mich in eine solche Ablehnung gegen ihn zu steigern, aber sosehr ich mir auch immer wieder alle Vernunftgründe vorbetete, strebte alles in mir in irrationalerAbwehr von ihm fort und ich musste mich mit allergrößter
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