Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Anstrengung zwingen, nicht vor ihm davonzulaufen, sondern, wie es nun meine Pflicht war, ihm eine willfährige Hausfrau und Geliebte zu sein.
Aber die Geliebte war in dieser Nacht nicht mehr gefordert. Utz zog mich zwar fest entschlossen, mir eine unvergessliche Hochzeitsnacht zu besorgen, in seine Arme, doch fiel er gleich darauf rücklings auf das mit einer prachtvollen Satindecke bedeckte Bett, wo er in todesgleichem Schlaf bis zum nächsten Morgen liegen blieb.
Ich atmete erleichtert auf, und da es meines Wissens keine Vorschrift gab, nach der eine verschmähte Ehefrau an der Seite ihres volltrunkenen und schnarchenden Gemahls ausharren musste, zog ich mich diskret in meine eigenen Räume zurück, wo mich zu meinem Entsetzen Amadeus mit einem leicht irren Lächeln im Gesicht in der Livree eines Hausdieners erwartete.
»Wie hast du dich nur hereingeschlichen?«, entfuhr es mir trotz aller Panik leicht bewundernd angesichts dieser unglaublich kühnen Dreistigkeit und ich schickte wispernd hinterher: »Utz wird dich in Stücke reißen, wenn er dich hier erwischt, und er täte recht daran. Es ist frevelhaft und verwerflich, was du tust!«
Aber Amadeus lachte ein leises, bitteres Lachen. »Dazu dürfte dein lieber Mann wohl kaum noch in der Lage sein. Wie Friedrich mir berichtete, waren zwei Diener nötig, ihn ins eheliche Schlafgemach zu schaffen. Gehe ich recht in der Annahme, dass er die Hochzeitsnacht im Alkohol ertränkt hat? Und was den Frevel angeht und die Verwerflichkeit, gibt es Schlimmeres, als ohne Liebe zu heiraten?«
Er schwieg einen Moment, in dem meine Betroffenheit schwer lastend zwischen uns hing.
»Ich hätte nicht geglaubt, dass du es tun würdest …«, sagte er schließlich leise.
»Was?«
»Den Utz heiraten. Friedrich sagte, du wärest in der Kirche zusammengebrochen. Ist dir das nicht Fingerzeig des Himmels genug, dass diese Ehe nicht einmal von Gott gewollt ist?!«
Ich schüttelte den Kopf, weil er gar nicht wusste, warum es mir in der Kirche so schlecht gegangen war, doch er klagte mich weiter an.
»Ich kann nicht glauben, dass du die gleiche Frau bist, die so selbstbewusst und glaubhaft gesagt hat, dass sie niemals einen Mann heiraten würde, den sie nicht auch liebt.«
»Man sagt viel im Laufe des Lebens …«, hauchte ich schuldbewusst, »und meintest du nicht selbst, dass man niemals nie sagen soll, weil einem oft nur das als Möglichkeit bleibt, was man für sich durch dieses Nie ausschließen wollte? Du hattest recht, nun ist es so gekommen, wie du es fast schon prophetisch vorhergesehen hast. Es ist für mich und alle Vanderborgs die einzige Chance. Wir alle hängen wirtschaftlich von Utz ab und ohne diese Heirat würde er Vanderborg in das Schuldgefängnis bringen und Friedrich und Hansmann könnten Karriere und Geschäft vergessen.«
Amadeus ließ sich dreist auf mein Bett fallen.
»Dadurch, dass du es ständig wieder runterbetest, wird es nicht wahrer, Estelle! Du kannst nicht deine Seele und dein Leben an diesen Utz verschachern, um den Rest deiner Familie damit zu sanieren. Und wenn du es dennoch tust, wie es ja nun geschehen ist, so löse wenigstens dein mir gegebenes Versprechen ein und schenke Utz nichtdeine Liebe, denn die hast du mir versprochen, und um sie einzufordern, bin ich heute hier. Mein Weib hättest du heute werden sollen und darum ist dies heute unsere Hochzeitsnacht.«
Er zog mich zu sich auf mein Bett, und ohne weiter viele Worte zu verschwenden, bedeckte er mein Gesicht mit Küssen und verleitete mich zum größten Treuebruch, dessen sich eine Ehefrau schuldig machen kann.
Wir liebten uns mit einer schmerzlichen Leidenschaft, und mir war klar, dass kein Verbrechen schlimmer sein konnte, als im Bewusstsein, dass der gehörnte Ehemann im Nebenzimmer seinen Rausch ausschläft, mit einem anderen die Hochzeitsnacht zu zelebrieren.
Und während ich in Amadeus’ Armen mit ersticktem Stöhnen die höchste Lust unserer vereinigten Körper empfing, erlebte ich zugleich moralisch den schwärzesten Moment in meinem Leben.
Dennoch hatte ich, während ich erschöpft neben Amadeus lag, das Gefühl, dass er und ich unausweichlich füreinander bestimmt waren. Uns so bedingungslos zu lieben war mehr als nur körperliche Leidenschaft und Begierde – es war eine Gnade, die den Dämon in mir zu zähmen vermochte. Nicht sein Blut war es, was mich an ihn fesselte. Er bog den Stahl meiner Seele in der Glut seiner Liebe und machte mich so weich, dass ich nicht nur
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