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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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morgendliche Szene wieder vor Augen, als er offenbar versucht hatte die Verbindungstür zu öffnen. Ein Versuch, den er sehr schnell aufgegeben hatte. Mir war schon klar, dass er mein Verhalten als Zurückweisung aufgefasst hatte, was es unbewusst wohl auch gewesen war. Ich versuchte darum den Ehefrieden mit einer Entschuldigung wiederherzustellen, die er aber nicht akzeptierte. Ihm schien vielmehr mein Verhalten nicht gänzlich unwillkommen zu sein, denn er kam mir mehr als bereitwillig entgegen.
    »Nun, Estelle, ich will Euch wahrlich nicht bedrängen, wenn Ihr noch ein wenig Zeit braucht, um Euch von Eurer Jungfräulichkeit zu verabschieden, so sei sie gewährt. Doch bedenkt, dass ich ein Mann von großer Leidenschaft bin und nicht vorhabe an der Seite einer Nonne zu leben. Lasst es mich also wissen, wenn Ihr bereit seid, mich in Eurem Schoß zu empfangen und die Freuden der körperlichen Liebe mit mir zu teilen. Ich werde ganz gewiss nicht noch einmal vergebens vor Eurer Tür stehen.«
    Er hob sein Glas und prostete mir zu, und seine letzten Worte klangen nicht nur deswegen wie ein Schwur.
    Und weil es so endgültig wirkte, fiel mir keine Erwiderung ein und ich hob wortlos ebenfalls mein Glas und schluckte den zweifach bitteren Tropfen.
    Als ich nach dem Essen alleine in mein Zimmer hinaufging, war ich verletzt durch seine Zurückweisung und erleichtert zugleich. Ich war ihm entkommen; mochte er doch zu einer Hure gehen, ich würde ihn niemals zu mir bitten.
    So setzte ich mich an den Biedermeiersekretär vor meinem Fenster und starrte hinaus in die Nacht und ahnte trotz dieses kleinen Aufschubs, dass mich das Schicksal letztlich doch zwischen Amadeus und Utz zerreiben würde, denn sie waren wie das Alpha und das Omega für mich, Anfang und Ende. Mein Atem und mein Untergang.

Teil Drei
Sühne
    … das Leid beuget gewaltiger …

U tz machte Ernst und rührte mich nicht mehr an.
    Das Eheschlafzimmer war wie ein Bollwerk zwischen unseren Räumen, die Tür dorthin blieb von meiner wie seiner Seite verschlossen. Ich hatte über sein Verhalten nachgedacht und fand es einem jungen, unerfahrenen Mädchen gegenüber, wie er es in Estelle vermuten musste, höchst unsensibel, ja geradezu verletzend brutal. Wenn ich mich nun wirklich aus Angst vor der Hochzeitsnacht furchtsam und in aller Unschuld zurückgezogen hätte, weil ich noch nie einen Mann auch nur lustvoll geküsst hätte, so wäre das erniedrigende Verhalten von Utz zweifellos dazu angetan gewesen, meine aufkeimende Weiblichkeit noch in der Knospe verwelken zu lassen. Ich fragte mich also, warum er Estelle einerseits unbedingt hatte heiraten wollen, wenn er sie andererseits so roh zurückstieß. Doch bald schon fand ich eine Antwort: Er war an ihr als Frau nicht interessiert, sondern wollte sie besitzen wie einen schönen Edelstein, den man seinem ohnehin schon prächtigen Besitz hinzufügte, um seinen Glanz noch besser zur Geltung zu bringen. Einen Mann wie ihn schmückten also Estelles Unschuld und feines Wesen, die vergessen ließen, dass er die bürgerlichen Tugenden nicht gerade mit dem Löffel gegessen hatte. Das Wilde und Ungezähmte, welches mir an ihm aufgefallen war, konnte auch anderen nicht verborgen geblieben sein. Und folgte ich den Gerüchten, die Friedrich mir zutrug, dann hatte Utz Estelle vermutlich in erster Linie die Aufgabe zugedacht, als Vorzeigeobjekt für ihn zu repräsentieren und mit ihrer jugendlichen Unschuld seinen mehr als unsoliden Lebenswandel mit reifen Frauen aus dem zwielichtigen Gewerbe vergessen zu machen, der ihm in Berlin doch ein wenig den Ruf angekratzt hatte, was seinem Bankgewerbe nicht eben zuträglich war.
    Es war wieder Friedrich, der mir schließlich die überzeugendste Erklärung für Utz’ abstinentes Verhalten lieferte, indem er berichtete, dass Karolus auch nach der Hochzeit regelmäßig das geheime Edelbordell einer gewissen Madame Chantal aufsuchte. Als ich ihm daraufhin vom Zustand meiner Ehe berichtete, meinte er sogleich und vermutlich zutreffend: »Ich wette darauf, dass sie seine Geliebte ist, und zwar schon lange, und dass er nie die Absicht hatte, sie wegen der Ehe mit dir aufzugeben.«
    Das nahm ich auch an und konnte ihm nur beipflichten – so oft wie Utz abends das Haus verließ und erst in der Morgenstunde wieder betrat, hatte er gewiss schon einen zweiten Hausstand bei der Dame in ihrem Freudenhaus eingerichtet.
    Ich erinnerte mich nun auch vage, dass ich selbst bereits einmal dort eingekehrt

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