Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
so weit als möglich Estelle zu sein, deren Unschuld und Sittlichkeit zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auf mich übergegangen waren. Ich zwang mich gut und moralisch zu sein, Amadeus aus meinen Gedanken zu verscheuchen und freundlich und anständig über Utz zu denken, ja in mir ein Gefühl der Dankbarkeit für ihn zu erzeugen, weil er mir erlaubte, durch mein Opfer die Vanderborgs so großherzig vor dem Ruin zu retten.
Es war der schiere Selbstbetrug, doch ich lebte ihn in diesem Augenblick so überzeugend, dass selbst der Himmel sich geschlagen gab. Ich spürte zwar entsetzliche Schmerzen, als Vanderborg mich über die Schwelle führte, aber sein Arm gab mir Halt, und so fand ich die Kraft, das Gotteshaus zu durchschreiten, neben Utz niederzuknien und die Worte des Priesters nachsprechend ihm tatsächlich das Ja-Wort zu geben. Doch als er mir den Ring an den Finger steckte und ich ihm Gleiches tun sollte, brach ich mit einer Ohnmacht zusammen.
Man trug mich aus der Kirche in die Kutsche und fuhr in rasender Eile zurück in die Brüderstraße, wo ein Festessen für den engsten Familienkreis angesetzt war und wo Gertrud sich an mein Bett setzte, bis der eilig herbeigerufene Arzt kam und mich eingehend untersuchte. Er schüttelte besorgt den Kopf und sagte wie schon nach unserer Rückkehr aus den Karpaten: »Es ist die Blutarmut und das schwache Herz, da kann so eine Aufregung, wie sie eine Hochzeit mit sich bringt, schon mal zu einer Ohnmacht führen, besonders natürlich, wenn Ihr ein so enges Mieder tragt, das Euch noch zusätzlich die Luft abschnürt.«
Er verordnete mir ein wenig Bettruhe und gab mir ein paar Tropfen, die mein Herz anregen sollten.
»Dass Ihr sie aber auch ja regelmäßig einnehmt, Estelle!«, verlangte er noch, dann ließ er nach Gertrud schicken, damit sie weiter bei mir wachte.
»Nun verderbe ich dir den ganzen Tag«, sagte ich zu ihr. »Du würdest doch viel lieber jetzt mit Hansmann schäkern.«
Sie lachte. »Ach, das macht nichts, dazu bleibt später noch Zeit genug, wenn du dich erst erholt hast.« Und weil wir beide gerade so intim zusammen waren, bedankte sie sich noch einmal herzlich für meine persönliche Einladung zur Hochzeit.
»Ich habe es kaum noch ausgehalten ohne Hansmann, und ohne einen triftigen Grund hätte mich mein Vater niemals nach Berlin reisen lassen. Es ist übrigens sehr lieb, dass ich dein Zimmer benutzen darf, wir werden uns hier ein schönes Schäferstündchen machen.« Sie kicherte ausgelassen.
»Ist das denn deinem Vater recht?«, fragte ich ein wenig besorgt, weil sie mir gar zu leichtfertig klang. Sie fühlte sogleich, was mich bewegte, und meinte lachend: »Da mach dir nur mal keinen Kopf drüber, liebste Schwiegerschwester, denn dass ich den Hansmann heiraten werde, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Den Herrn Vater kriege ich schon noch rum!«
Und weil sie davon so fest überzeugt war, versuchte ich später, als es mir tatsächlich wieder besser ging, das meine dazu beizutragen, und warf, als wir vor dem Haus von Utz angekommen waren, den Brautstrauß so gezielt in Gertruds Richtung, dass sie ihn einfach fangen musste. Das machte auch Hansmann glücklich, und so erzählte er den ganzen Abend immer wieder jedermann, der es wissen oder auch nicht wissen wollte, dass Gertrud und er nachallem Aberglauben nun das nächste Hochzeitspaar sein würden.
Ich gönnte es ihnen von Herzen und hoffte nur, dass auch Gertruds strenger Herr Vater mitziehen würde. Aber der war offensichtlich recht angetan von der vermögenden Verwandtschaft; und was Vanderborg an seriöser Reputation in seinen Augen fehlte, machte meine Heirat mit Utz wieder wett. Dennoch, der Reeder Hoopmann war ein schwieriger Fall, wie überhaupt die Hamburger Kaufmannsgesellschaft als ziemlich hochnäsig und eine Einheirat in ihre Kreise als äußerst schwer galt.
Nach meiner kleinen Unpässlichkeit verlief der Rest der Hochzeit ganz nach Plan und Utz sonnte sich in meinem Glanz und gab den glücklichen frischgebackenen Ehemann, wie er im Buche stand. Und weil die Hochzeit an Silvester gefeiert wurde, war in seinem Hause nicht nur ein rauschender Hochzeitsball, sondern um Mitternacht auch ein Brillantfeuerwerk vor seinem Haus geplant, mit dem er sowohl mich als neue Frau an seiner Seite begrüßen wollte als auch das neue Jahr.
Er hatte viele Gäste geladen und so fiel es nicht auf, dass Friedrich Amadeus kurz vor Mitternacht auf das Anwesen geschmuggelt hatte. Er steckte mir
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