Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
das geheime Gewölbe, wo ich mich in den todesähnlichen Schlaf der Vampire zurückzog und hoffte, dass irgendjemand von meinen Lieben überlebt hätte und irgendwann einmal hierher zurückkehren würde.«
Amadeus’ Bericht hatte mich verstört, denn er führte mir drastisch vor Augen, wie gefährlich und grausam Utz war.
»Warum bist du denn überhaupt alleine in die Karpatengereist?«, fragte ich. »Du hättest doch damit rechnen müssen, dass dir dort auf der Burg seiner Ahnen von Utz große Gefahr droht. Immerhin hast du seine Ehe zerstört … und er hatte dir mehrfach Rache angedroht.«
Er blickte mich verwirrt an. Offensichtlich sah er das etwas anders. »Diese Ehe war zerstört, bevor sie geschlossen wurde«, sagte er unfreundlich, und ich musste daran denken, was Estelle über ihre erste Begegnung mit ihm am Abend ihrer Verlobung geschrieben hatte. Dass sie den Verlobungskuss von Utz »nicht mit der Keuschheit einer liebenden Frau, sondern gleichsam als Verräterin« empfing, »die schon vor der Ehe ihren Gatten betrog, weil sie das Antlitz eines anderen vor Augen hatte«.
Dieser andere war schon damals Amadeus gewesen. Derselbe Amadeus, der nun mir seine Liebe schwor und mich mit einem Blutkuss für alle Ewigkeit zu seiner vampirischen Gefährtin machen wollte, obwohl er nicht mehr von mir wusste als ich von ihm, nämlich nur das, was unsere Träume uns verraten hatten. Und das war im Grunde nicht mehr als eine Verheißung, lediglich ein Verspechen auf ein Glück, von dem keiner von uns sicher sein konnte, dass es wirklich eintreten würde. Wer sagte uns denn, dass es eine gute Macht war, die uns diese Träume geschickt hatte, und nicht der Satan persönlich, der uns hier lediglich mit Utz zum letzten Kampf zwischen den Przytuleks und den Vanderborgs zusammenbringen wollte? Es konnte doch kein Zufall sein, dass auch Friedrich plötzlich hier auftauchte, sodass sich alle drei Männer, die in Estelles Leben eine wichtige Rolle gespielt hatten, gleichzeitig auf Gut Blankensee befanden.
Ob darüber schon mal jemand von meiner vampirischen Verwandtschaft nachgedacht hatte? Als ich zu Amadeusrüberblickte, sah er mich irgendwie geistesabwesend an, und ich hatte das Gefühl, dass er gerade dabei war, in meinen Gedanken spazieren zu gehen. Das war mir jetzt aber etwas unangenehm!
»Wer hat dich aufgeweckt, Amadeus?«, wollte Klara wissen und lenkte uns beide mit dieser Frage ab. »Wer wusste, wie man einen Vampir aus seiner Starre erweckt … und überhaupt: Wer kannte den Zugangscode für das geheime Gewölbe?«
Auch Friedrich war nun neugierig geworden.
»Es mag seltsam klingen«, setzte Amadeus zu einer etwas ausschweifenden Antwort an, »aber nachdem ich das Gut verlassen vorfand und nicht den Mut hatte, in die Sonne zu gehen, um mich in meinem Kummer selbst zu töten, schlief ich mehrere Jahrzehnte … bis …« Er stockte, und ich fragte mich, ob es ihm vielleicht peinlich war von unseren Träumen zu erzählen?
»Bis was passierte?«, ließ Friedrich jedoch nicht locker.
»Bis mich dieser Traum erst kürzlich wieder erweckt hat.«
»Ein Traum?«, rief Klara aus. »Wie romantisch! Wann hätte man je gehört, dass ein Vampir durch einen Traum wieder aus der Todesstarre erwacht wäre!«
Vielleicht sollte sie sich mal auf YouTube »Nosferatu« ansehen, dachte ich. Soweit ich mich erinnerte, war der gute alte Graf Orlok doch auch durch einen Traum verleitet worden, mit einem Sarg voller Heimaterde nach Wisborg aufzubrechen, um die schöne, unschuldige Ellen für sich zu erobern.
Dieser Gedanke erschütterte mich allerdings auch ein wenig, denn er ließ alles, was zwischen Amadeus und mir geschehen war, plötzlich gar nicht mehr so einmalig undaußergewöhnlich romantisch erscheinen. Allerdings gab es einen kleinen Unterschied: »Nosferatu« war ein Film und ich bildete mir immer noch ein, real zu sein, also wirklich zu leben … Aber wer wusste heute schon noch, wo die Realität endete und Fantasy begann? Hatte nicht selbst Professor Knuppers immer betont, dass »one mans fantasy the others reality« sei und umgekehrt ? Und dass wir darum im virtuellen Raum des Theaters genauso agieren sollten wie im realen Leben, weil die Zuschauer im Moment der Aufführung ganz automatisch vergäßen, dass es sich nur um ein Spiel handelte. Ich dachte an meine Elektra … Da war auch ich als Schauspielerin ganz und gar in der Rolle aufgegangen, hatte Bühne und Leben sogar für einige Minuten nicht mehr
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