Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
geschrieben hatte:
»… ich begann mir ebenfalls eine Rechnung aufzumachen und kam zu dem schrecklichen Schluss, dass der Zeugungszeitpunkt nur im Februar des Jahres liegen konnte, als Utz meine Untreue entdeckt und mich brutal vergewaltigt hatte. Und obwohl ich zu der Zeit auch mit Amadeus verkehrt hatte, tröstete mich das nicht, denn es änderte nichts daran, dass Utz ebenso gut der Erzeuger meines ungeborenen Kindes sein konnte wie Amadeus.
Zu ihren Lebzeiten hat Estelle diesen Zweifel stets vor dir geheim gehalten, Friedrich, aber du weißt es inzwischen vermutlich ebenfalls. Ich denke, es ist an der Zeit, die Ungewissheit in Bezug auf die Vaterschaft ein für alle Mal zu beseitigen. Heute gibt es Methoden, mit denen man eine Abstammung zweifelsfrei nachweisen kann.« Ich trat zu Amadeus und legte ihm mit einer verbindlichen Geste meine Hand auf den Arm. »Auch mir gefällt der Gedanke nicht, aber ich möchte dennoch endlich Gewissheit.« Mit einem Blick zu Friedrich fügte ich hinzu: »Dann können wir die Debatte anhand konkreter Fakten gerne noch einmal aufgreifen.«
Ich ahnte nicht im Geringsten, was ich mit meiner Forderung auslöste. Immerhin gelang es mir tatsächlich – sogar von Friedrich unterstützt –, Amadeus die Einwilligung zu einem erbbiologischen Gutachten abzuringen.
Ich würde mich erkundigen, wie das ablief, und bei meinem nächsten Besuch auf Blankensee von Amadeus eine Speichelprobe oder Ähnliches für das Labor mitnehmen.
Entgegen meiner ursprünglichen Absicht würde ich auf jeden Fall wiederkommen, solange Friedrich und Klara noch auf dem Gut waren. Ich war viel zu neugierig, um sie nicht gründlich über die Vergangenheit, die Familie und natürlich auch ihr aufregendes Leben in New York auszufragen.
Dennoch wollte ich Amadeus auf Distanz halten, denn obwohl ich es rührend und sehr liebevoll von ihm fand, wie er von unserem Kennenlernen erzählt hatte, war mir der Gedanke, einen Vampir zu lieben, nach wie vor unheimlich.
Ich gab ja zu, dass er mich mit seiner Leidenschaft so beeindruckt hatte, dass ich mich hatte hinreißen lassen, mich ihm völlig hinzugeben. Kein anderer Mann hatte jemals solch einen Sturm der Gefühle in mir ausgelöst. Aber diese Gefühle waren doch auch sehr widersprüchlich, und gerade heute war ich mir gar nicht mehr sicher, dass alle Träume erfüllt werden müssten. Denn wer konnte die Garantie dafür übernehmen, dass sie von einem gütigen Schicksal gesandt wurden und nicht, wie ich zwischenzeitlich den Eindruck gewonnen hatte, um dem Bösen zu seinem letzten Triumph zu verhelfen?
Schließlich war Utz mit seinen mystischen Gefährten ebenfalls auf Blankensee, und er hatte gewiss nicht von mir geträumt, und wenn doch, dann hatte ihn dieser Traum nur an eins erinnert: dass er Rache üben wollte, Rache an allen, die aus dem Geschlecht der Vanderborgs stammten. Er hatte mithin einiges hier zu tun!
Amadeus, Friedrich, Klara und mir blieb nur eine Wahl und die hieß: er oder wir. Die letzte Schlacht in der Blutfehde zwischen den Przytuleks und den Vanderborgs schien eröffnet, und wie es aussah, steckte ich mittendrin!Trotz allem wollte ich jedoch endlich zurück nach Berlin. Ich hatte meine Sachen in den Rucksack gepackt und war startklar, als Amadeus in der Empfangsdiele des geheimen Gewölbes zu mir trat und sagte: »Ich möchte mit dir reden, Louisa.«
»Eigentlich bin ich gar nicht mehr hier! Wären Friedrich und Klara nicht dazwischengekommen, wäre ich längst in Berlin. Ich war gerade auf dem Weg in den Salon, um die Chronik zu holen und Ade zu sagen.« Mit kaum zurückgehaltenem Ärger fügte ich hinzu: »Ich finde es allerdings ziemlich unmöglich, dass ich immer noch nicht den Zugangscode kenne! In meinem eigenen Haus kann Friedrich sich freier bewegen als ich. Findest du das in Ordnung?«
»Nein«, gab Amadeus kleinlaut zu, »das ist natürlich psychologisch etwas ungeschickt, aber es ändert nichts an meiner Grundüberzeugung. Lass mich dir den Blutkuss geben, dann bist du eine Vampirin, und wir werden all unsere Geheimnisse mit dir teilen.«
»Das ist Erpressung und ich werde darauf natürlich nicht eingehen.«
Ich schob ihn zur Seite und lief in den Salon, wo ich die Chronik aus dem Schreibtisch holte. Mit dem schweren Buch in den Händen rannte ich zum Ausgang, aber der war natürlich verschlossen. Ich drehte mich um und starrte in das Gesicht von Amadeus, in dem sich widerstreitende Gefühle spiegelten. Einerseits schien er
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