Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
Gertrud mir ins Gesicht, ›und nach dem Unglück, das du über Estelle und die Familie gebracht hast, werden wir die Letzten sein, die dir dabei helfen, von den Toten aufzuerstehen!‹
Sie haben mich schon immer gehasst und Hansmann war nach wie vor Utz’ Lakai. Jedenfalls stand er offensichtlich seiner Bank vor. Utz selber befand sich damals nicht in Berlin.«
»Das kann sein«, meinte Friedrich und kratze sich nachdenklich am Kinn. »Es muss so um 1924 gewesen sein, da hatten mein Vater, Amanda und ich uns auf eine zweite Expedition in die Karpaten begeben. Wir waren auf der Suche nach Estelle. Ich selber hatte Jahre im geheimen Gewölbe geschlafen, weil ich bei meiner Rückkehr aus dem Krieg niemanden außer Hansmann und Gertrud mit ihren Söhnen hier antraf.«
Amadeus war sichtlich erregt bei dieser Mitteilung von Friedrich. »Auch ich machte mich in die Karpaten auf«, stieß er hervor. »Wir müssen uns knapp verfehlt haben!«
Die Erinnerung an das dort Erlebte schien ihn auch heute noch schwer mitzunehmen, denn seine Sätze waren hastig und abgehackt. Sie enthüllten mir nun auch den Rest seiner Geschichte und die passte zu dem, was die Vanderborg-Frauen in der Chronik aufgezeichnet hatten.
»Von Hansmann und Gertrud bösartig abgewiesen, machte ich mich auf den Weg in die Karpaten, um mich zu überzeugen, dass nicht Utz Estelle in seine Gewalt gebracht hatte. Ich ahnte nicht, dass er zu einem so starkenund mächtigen Vampir geworden war, der zu seinem Schutz eine Armee von untoten Seelen und ein Rudel von Werwölfen in einer gemeinsamen Allianz des Bösen zusammengeschmiedet hatte. Ich war chancenlos. Hohnvoll erzählte er mir von Estelles Flammentod und von der Lust, die es ihm bereitet hatte, sie jahrelang zu foltern und ohne Nahrung vergehen zu sehen.
›Sie hätte dir gefallen, mein Freund‹, höhnte er. ›Deine zauberhafte junge Geliebte! Ein altes, hässliches Weib war sie geworden: schütteres Haar, die Brüste wie leere Schläuche an ihr hängend, faltig, zahnlos, abscheulich, sich selbst ein Gräuel bei jedem Blick in den Spiegel, zu dem ich sie täglich, stündlich, permanent zwang. Denn ihr Verlies war ein Spiegelkabinett, in dem ihr Bild ihr tausendfach entgegengeworfen wurde und aus dem es keine Ausflucht gab! Rührt es dich, zu hören, dass sie versuchte, sich mit ihren eigenen Fingernägeln die Augen auszukratzen? Was ich natürlich durch eine dezente Fesselung verhindert habe … ich bin ja kein Unmensch.‹
Angesichts dieser grausamen Schilderung konnte ich mich nicht mehr beherrschen und stürzte mich verzweifelt auf ihn, aber seine schwarzen Leibwächter hielten mich zurück, zwangen mich in Ketten und lieferten mich ihm und seiner Brutalität aus.
Die Burg war zum größten Teil niedergebrannt und nur im vorderen Bereich des Hauptportals und in den Kellern darunter noch erhalten. Dort schuf er mir ein Gefängnis, in dem ich bitterste Qualen litt. Die schlimmste Folter aber war, zu wissen, dass ich Estelle für immer verloren hatte. Wie verfluchte ich mein ewiges Leben jetzt. Es war so nutzlos, denn alles, wofür ich je gelebt hatte, war tot oder zerstört. Doch manchmal dachte ich an Amanda, Estellesund meine Tochter, und dann erwachte ein unbändiger Überlebenswille in mir.
Schließlich verließ Utz die Burg. Ich blieb zurück und sank in eine todesähnliche Starre. Aber er kam zurück und die Qualen begannen erneut. Er machte sich einen Spaß daraus, sich immer neue Methoden auszudenken, und obwohl alle körperlichen Wunden sich durch meine vampirischen Selbstheilungskräfte meistens rasch schlossen, brach er doch Stück für Stück meinen Stolz und meinen Willen und tötete meine Seele, bis ich nur noch ein gefühlloses und bewusstloses Bündel Haut, Knochen und Muskeln war, das zu quälen ihm schließlich keine Freude mehr machte. Er verschwand von einem Tag auf den anderen erneut.
Es war ein Traum, der mich irgendwann aufrüttelte, und dieser Traum zog mich mit unwiderstehlicher Macht nach Blankensee. Die Burg war inzwischen weiter verfallen und die Tür meines Kerker vermodert und überwindbar.
Ich fand mich in einer völlig veränderten Welt wieder, kam durch mehrere Blutmahlzeiten wieder zu Kräften und passte mich rasch an. Ich stahl mir ein Automobil und fuhr damit nach Berlin und schließlich nach Blankensee. Das Gut stand leer und war völlig heruntergekommen, und ich konnte mir nicht erklären, was mich so magisch hierhergezogen hatte. Also stieg ich hinab in
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