Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
sicher, um es neben Lysanders Zwillingsbruder Wolfgang zu begraben.«
»Das werden wir nun tun«, sagte Robert und so trugen wir Lysanders Herz zurück an den Ort seiner Geburt.
Lysette
Lysanders Herz! Das also war unter dem Gedenkstein im Küchengarten begraben, der mir solche Rätsel aufgegeben hatte. An der Seite
seines Zwillingsbruders Wolfgang hatte es zur letzten Ruhe gefunden.
A
ngesichts der tragischen Geschichte meiner Vorfahren empfand ich eine entsetzliche Beklemmung in der Brust. Ich klappte die Chronik zu und wollte nach Amadeus suchen, damit er mir den Geheimausgang öffnete. Wenn ich nicht einen Anfall von Klaustrophobie erleiden wollte, musste ich ganz schnell an die frische Luft.
Aber wieder einmal hatte sich mein Bedürfnis Amadeus wortlos mitgeteilt und er stand bereits in der Tür des Salons.
»Komm«, sagte er sanft. »Wir gehen ein wenig spazieren, die Dämmerung ist bereits eingefallen … Du hast lange gelesen, ein wenig Bewegung wird dir guttun.«
Wir verließen das Gutshaus durch die Küchen, sodass wir gleich in den dahinter liegenden Garten gelangten. Wie selbstverständlich lenkten wir unsere Schritte zu dem Rosenstrauch, bei dem die Steine lagen.
Amadeus griff nach meiner Hand und wir standen eine Weile dort in schweigendem Gedenken.
»Und er war wirklich ein Werwolf ?«
Amadeus nickte. »Ich weiß es auch nur aus der Chronik. Conrad Lenz, der hier ebenfalls begraben liegt, war der Ehemann von Amanda. Er wurde in den Karpaten von einem Wolf aus einem mystischen Rudel gebissen. Offensichtlich vererbte sich der Fluch auf seinen Sohn Lysander.«
»Woran ist Conrad gestorben?«, wollte ich wissen. »Was bedeutet der Schwarze Mond? Wieso beendete er den Fluch?«
»Der Schwarze Mond ist eine mystische Bezeichnung für eine Mondfinsternis. Man spricht gelegentlich auch vom Blutmond, weil der Mond im Erdschatten rot leuchtet. Es heißt, dass er für Werwölfe tödlich ist. Aber lies es am besten selber, Louisa, Amanda hat es aufgeschrieben.«
Ich brach ein paar Rosen vom Strauch und legte sie auf die beiden Grabsteine. Mein Herz war schwer dabei.
Wir gingen noch nicht zurück ins Haus, sondern hinunter zum See. Er lag glatt, dunkel und schweigend. Kein Lüftchen regte sich, so als verharre auch er in stillem Gedenken.
»Wie kann eine Familie solch ein Schicksal treffen, ohne dass alle wahnsinnig werden?«, flüsterte ich schließlich.
»Das frag nicht mich, Louisa, das frag den, der diesen Fluch über uns gebracht hat. Wir sind nur die Werkzeuge einer höheren Macht.«
»Ich werde morgen wieder nach Berlin fahren«, sagte ich. »Ich weiß deine Gastfreundschaft zu schätzen, aber ich muss erst einmal verarbeiten, was ich bisher gelesen habe. Am Wochenende komme ich mit meinen Freunden zurück.«
Amadeus schwieg. Bestimmt war er nun beleidigt.
Ein leises Lachen drang an mein Ohr.
»Wieso kannst du meine Gedanken lesen? Ich finde das nicht nur lästig, sondern auch unschicklich! Das gehört sich nicht!«
»Entschuldige, aber ich kann nichts dagegen tun. Es ist eine spezielle Gabe … mir erst später zugewachsen … vielleicht durch meine Kopfverletzung im Krieg … keine Ahnung … Ich werde versuchen, weniger Gebrauch davon zu machen.«
»Am besten gar keinen.«
»Ich bemühe mich.«
Er schwieg. »Und du willst wirklich schon fahren?«
»Ja, morgen früh. Wie gesagt, ich komme ja schon am Wochenende wieder.«
»Mit deinen Freunden. Es wird nicht dasselbe sein …«
»Ich weiß. Ich werde mit ihnen oben schlafen müssen.Du willst ja nicht, dass sie von dem geheimen Gewölbe erfahren. Es wäre allerdings sehr viel komfortabler …«
»Nein! Schlag es dir aus dem Kopf.«
»Ist ja gut, wir kommen oben auch klar. Die Wasserspülung geht ja wieder und wir können sogar auf unserem Campingkocher kochen. Marc wird mehr Gas mitbringen.« Ich wandte mich zum Gehen. »Wir sollten zurückgehen. Ich bin müde.«
Er zog mich in seine Arme. »Ich nicht. Ich könnte die ganze Nacht hier mit dir verbringen …«
»Ein andermal … vielleicht.«
Er küsste mich und wieder ergriff mich diese unerklärliche Sehnsucht, die mich seit unserer ersten Begegnung jedes Mal wieder befiel, sobald er mir seine Zärtlichkeit schenkte. Ich genoss seine liebevollen Berührungen und wünschte mir, er würde weiter gehen, seiner Leidenschaft endlich einmal wieder freien Lauf lassen. Aber ich wusste inzwischen ja auch, dass es nicht sein konnte, weil es gefährlich war, weil er ein
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