Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
bestimmtes Maß an Nähe nicht überschreiten durfte, ohne Gefahr zu laufen, die Kontrolle über seine Gefühle zu verlieren und mir den Kuss zu geben, der für mich den Tod als Mensch bedeuten konnte. Und dann war da ja auch noch Marc …
So entzog ich mich seiner Umarmung, wendete mich von ihm ab und ging unzufrieden zurück zum Gutshaus. Er folgte mir erst, nachdem ich es schon fast erreicht hatte. Doch dann war er so schnell, dass er vor mir die Freitreppe erklomm und mich oben an ihrem Ende erwartete.
Gemeinsam stiegen wir hinunter in das geheime Gewölbe. Dort küsste er mich leicht auf die Stirn.
»Träum schön …«, sagt er sanft und seine Augen glitzerten, »…von mir.«Ich träumte tatsächlich. Einen Traum voller Leidenschaft von sich einander hingebenden nackten Körpern, die im Auf und Ab ihrer Lust verschmolzen, sich wie Ertrinkende umklammerten und zu immer neuen Wonnen trieben.
Als ich zum Frühstück in den Salon kam, saß Amadeus schon dort. Ich wurde rot bei seinem Anblick, denn mein hemmungsloser Traum fiel mir sofort wieder ein.
Doch als ich ihn ansah, wusste ich, dass auch er geträumt hatte.
»Irgendwann wird der Moment kommen, da trittst du endgültig aus meinem Traum hervor und ich aus dem deinen, und alles, was bis jetzt nur Illusion ist, wird Wirklichkeit werden«, sagte er, und als sein Blick mich streifte, fühlte ich mich nackt.
»Dann werden wir uns erkennen und lieben und einander für immer gehören.«
Ich war froh, dass ich Blankensee gleich verließ, sonst wäre ich ihm noch in diesem Augenblick in die Arme gestürzt, um mich ihm ganz und gar hinzugeben – auch auf die Gefahr hin, eine Vampirin zu werden.
Trotzdem konnte ich auf der Rückfahrt mit meinem Oldie-Käfer nicht verhindern, dass ich von erotischen Gedanken überflutet wurde. Ich stopfte mir meinen iPod in die Ohren und hörte passend zu meinem Auto die Flower-Power-Hit-Giganten. On the road again … It never rains in southern California … Ruby Tuesday …
Warum musste ich immer, wenn ich an Sex mit Amadeus dachte, an Blut denken? War es denn gar nicht möglich, sich zu lieben, ohne dass es zu dem tödlichen Biss kam? Auch ein männlicher Vampir musste sich doch so weit im Griff haben, dass er bei einem Orgasmus nicht gleich zubiss!
Wie hatten es meine Ahnen in der Sache gehalten? Zum Beispiel Großonkel Friedrich. Hatte der wie ein Mönch gelebt, bevor er Klara zu seiner Gefährtin gemacht hatte?
Ich musste unbedingt in der Chronik weiterlesen. Fast ärgerte ich mich nun, dass ich nicht doch auf dem Gut geblieben war. Wie dumm war ich eigentlich? Was verpasste ich schon in Berlin? Nichts, genau genommen.
Spontan verließ ich an der nächsten Ausfahrt die Autobahn, wendete und fuhr nach Blankensee zurück. Als ich die herrschaftliche Lindenallee zum Gutshaus hinaufbrauste, sah ich Amadeus schon im Schatten des Eingangs stehen.
Wir stürzten uns in die Arme, rissen uns noch auf dem Weg ins geheime Gewölbe die Kleider vom Leibe und sanken dann auf das Bett in meinem Gästezimmer.
Größeres wolltest auch du … aber die Liebe zwingt all uns nieder … fiel mir ein Gedicht von Hölderlin ein … wie passend.
Später streichelte ich Amadeus’ wunderbaren Körper, bedeckte ihn mit Küssen und konnte nicht fassen, dass man einander solches Glück schenken konnten. Ich berührte sanft seine Augenlider mit meinen Lippen und er schlug sie auf. Seine Augen waren dunkel und warm, die gelbe Gier war einem sanften Schimmern gewichen.
»Du hast mich nicht gebissen«, murmelte ich. »Und wir haben es geschafft, uns dennoch glücklich zu machen.«
Er setzte sich auf und lachte amüsiert. »Und was schließen wir daraus?«
Dass wir uns wirklich lieben, wollte ich sagen, aber das fand ich dann doch zu pathetisch, und so kicherte ich und meinte nur vage: »Dass wir alles richtig gemacht haben?«Natürlich musste ich später, als ich unter der Dusche stand, an meinen Quickie mit Marc denken. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, denn der Sex mit ihm war sehr schön gewesen … und hatte in seiner ausgesprochenen Verrücktheit etwas ganz Einmaliges, dass ich niemals vergessen würde. Ich war mir sicher, dass auch er mich begehrte … ja vielleicht sogar liebte … genau wie Amadeus … Ich mochte ihn so sehr, dass ich ihn auf keinen Fall enttäuschen oder verletzen wollte, aber ich konnte doch nichts für meine Träume …
Erfrischt ging ich später in den Salon, um weiter in der Chronik zu lesen. Ich
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