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Die Dunkle Erinnerung

Die Dunkle Erinnerung

Titel: Die Dunkle Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Lewin
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zu ihm um. Sie wusste, es war ein Schwachpunkt ihrer Geschichte. Erschwerend hinzu kam die lange Zeitspanne, die seit Claires Entführung vergangen war. »Ich war zwölf«, erwiderte sie.
    »Hat die Polizei ihn verhört?«
    »Das kann ich nicht sagen.« Erin dachte an die Tage und Wochen nach Claires Verschwinden. Und an die Qual des Wartens. Das war das Schlimmste gewesen – das Warten. »Man hat uns nichts über die Ermittlungen gesagt.«
    »Aber Sie sind sicher, dass es derselbe Mann ist?«
    Erin bezwang ihre Ungeduld. Wenn Donovan ihr nicht bereits Glauben schenkte, würde sie nicht neben ihm im Wagen sitzen. »Der Mann, den ich heute Morgen gesehen habe, war an dem Tag, als Claire verschwand, in Miami. Ob er es war, der sie entführt hat, oder ob er etwas mit dem Verschwinden des kleinen farbigen Mädchens zu tun hat, weiß ich nicht. Aber ich würde sagen, das ist mehr als ein Zufall.«
    Wenn sie Donovan gestand, dass sie bei der CIA war, würde er sie vielleicht besser verstehen. Erin war geübt darin, stets wachsam zu sein. Sie hatte gelernt, Einzelheiten wahrzunehmen, die in einer dunklen Gasse oder einem Wüstendorf auf der anderen Seite der Erde überlebenswichtig waren. Die Zugehörigkeit zur CIA würde ihr in Donovans Augen mehr Glaubwürdigkeit verschaffen und konnte seine Ermittlungen besser rechtfertigen.
    Doch ihre Deckung zu lüften kam für Erin nicht infrage. Und selbst wenn sie es gedurft hätte – all ihr CIA-Training bot auch keinen Schutz gegen die fast zwei Jahrzehnte währende Erinnerung an ein Ereignis, das sie mit zwölf Jahren durchlitten hatte.
    Erin bezweifelte, dass Worte ausdrücken konnten, was sie empfand.
    Doch sie konnte es zumindest versuchen. Sie konnte zu erklären versuchen, wie jener Tag in ihre Erinnerung eingebrannt war, wie sie manchmal des Nachts die Augen schloss und jede Minute aufs Neue durchlebte, sich aller Menschen entsann, mit denen sie damals gesprochen hatte, wie sie manchmal sogar glaubte, dass es nur eine Willensfrage war und sie selbst das Geschehene verändern könne.
    Ja, sicher, das würde bestimmt großartig funktionieren.
    Wenn sie Donovan das erzählte, würde er sie sofort nach Hause bringen und ihr empfehlen, sich in die Gummizelle neben ihrer Schwester Claire einschließen zu lassen. Also schwieg Erin und verließ sich darauf, dass die Beschreibung eines mutmaßlichen Täters das Interesse des FBI-Agenten wach hielt.
    Sie fuhren in nördlicher Richtung, folgten dem Streifenwagen durch McLean und gelangten nach Great Falls, einer Ortschaft, die nach außen hin bescheiden wirkte, doch der erste Eindruck wurde rasch von Luxusvillen und Anwesen von Gutshofgröße zunichte gemacht. Sie passierten den Great Falls Park und die Grundschule und erreichten ein Wohngebiet, in dem die Häuser geschützt hinter großen Bäumen inmitten gepflegter Rasenflächen standen. Nachdem Erin und Donovan durch viele ruhige Straßen gekurvt waren, landeten sie in einer Sackgasse und hielten vor dem von zwei Säulen flankierten Portikus eines prächtigen zweistöckigen Backsteinhauses.
    Nach Meilen gemessen war es nicht weit entfernt von dem kleinen Haus, das Erin in Arlington gekauft hatte und mit Müh und Not unterhalten konnte. Ansonsten aber lagen Welten zwischen den beiden Domizilen.
    Offenbar ging es Kauffman Farms recht gut.
    Auf der geschwungenen Einfahrt parkten ein halbes Dutzend Wagen.
    »Sieht so aus, als hätte unser Freund Gäste«, bemerkte Donovan. »Warten Sie hier, ich bin gleich zurück.«
    Erin ignorierte den Befehl und stieg ebenfalls aus. »Sie haben mich mitfahren lassen, also komme ich jetzt auch mit rein.«
    Donovan wollte widersprechen, ließ es dann aber. Vielleicht glaubte er, dass sich der Mann, den Erin am Morgen gesehen hatte, in diesem Luxusbau aufhielt. Oder er hatte begriffen, dass sie sich nicht so einfach gängeln ließ.
    »Okay«, lenkte er ein. »Aber überlassen Sie das Reden mir. Dass Sie mitgekommen sind, entspricht nicht den Gepflogenheiten meiner Behörde.«
    »Das verstehe ich.«
    Die begleitenden Polizisten blieben in ihrem Wagen sitzen, während Erin Donovan zur Tür folgte. Ein Dienstmädchen öffnete und ging ihren Arbeitgeber holen, nachdem Donovan seinen Ausweis vorgezeigt hatte. Es dauerte ein paar Minuten, bis Roger Kauffman an die Tür kam. Er schien über den unerwarteten Besuch gar nicht erfreut zu sein.
    Wieder wies Donovan sich aus. »Mr. Kaufmann, ich bin Special Agent Alec Donovan vom FBI. Dies ist Dr. Baker. Wir

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